KLEVE Kleves Bürgermeisterin Sonja Northing ist eine Ausnahmeerscheinung – schon allein deshalb, weil sie eine Frau ist. Von den 16 Bürgermeistern im Kreis Kleve sind 14 Männer. Northing ist sich sehr bewusst, dass Frauen in der Politik unterrepräsentiert sind: „Im Bundesdurchschnitt sind nur 26 Prozent aller Mandatsträger, zehn Prozent aller Bürgermeister und neun Prozent aller Landräte weiblich“, sagt Kleves erste Bürgerin. Männliche Bürgermeister-Kandidaten hätten es oft einfacher, „man vermutet, dass das an den männlich dominierten Parteistrukturen liegt“, zitiert Northing eine Studie. Nach 160 Tagen Amtszeit hätten sich ihre Kollegen im Kreis Kleve aber daran gewöhnt, „dass da zwei Bürgermeisterinnen sind, die die Männerrunde beleben“.
Ingrid Jungwirth, Professorin für Sozialwissenschaften an der Hochschule Rhein-Waal mit Schwerpunkt Diversität und Inklusion, ist überzeugt, dass es immer noch „dicke Bretter zu bohren gilt“. Die Gesellschaftlichen Verhältnisse hätten sich trotz Emanzipation nicht grundlegend geändert. „Frauen erreichen bestimmte Positionen oft nicht. Alle wissen, wie es richtig sein sollte, aber die Praxis ist einfach nicht so“, sagt Jungwirth. Studentin Leonie Aulenbacher berichtete von einer von ihr und Kommilitoninnen erstellten Studie zu „Frauen in Männerberufen“. Sie hätte ergeben, dass auch in ihrer Generationen viele Klischees gefestigt seien. „Es ist immer noch untypisch, dass Frauen Mathe studieren oder dass sie programmieren. Vielleicht werden Frauen so sozialisiert, dass sie sich bestimmte Sachen, etwa ein Mathematikstudium, nicht zutrauen“, sagte Aulenbacher.
Auch Achim Zirwes, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft vermutet, dass die Sozialisation bei der Berufswahl eine große Rolle spielt. „Ich sehe nicht das Problem, dass Handwerksbetriebe sich weigern, Ausbildungsstellen an Frauen zu vergeben. Oft spielt das Elternhaus eine große Rolle, wenn Vater oder Mutter ihrer Tochter davon abraten, einen Beruf im Handwerk zu ergreifen“, sagte Zirwes. Gleichwohl habe sich der Anteil der Frauen in typischen Männerberufen in den vergangenen Jahren um 50 Prozent erhöht.
Josef Peters, der Vorsitzende der Kreisbauernschaft Kleve, betonte, dass Frauen in der Landwirtschaft „gar nicht mehr so sehr“ die Ausnahme seien. Viele Frauen sähen einen Vorteil darin, Wohnsitz und Arbeitsstelle an einem Ort vereint zu haben. Das gilt auch für Frauke Raadts aus Warbeyen. Sie ist eigentlich Lehrerin, jetzt aber in Elternzeit, und unterstützt ihren Mann in der Milchviehhaltung. „Meine Eltern haben mir immer das Gefühl gegeben, dass ich alles werden könnte, was ich will“, sagt Raadts. Inzwischen gebe es auch viele Kinder- oder Tierärztinnen, „das ist heute eher der Normalfall“, betont die Lehrerin.
Studentin Claudia Röhlen sieht trotzdem das Problem, dass Frauen in bestimmten Berufen nicht akzeptiert werden. „Als Heizungs-/Sanitärmechanikerin werden viele Frauen beispielsweise nicht ernst genommen. Denen traut man nicht zu, dass sie eine defekte Heizung reparieren können“, sagt Röhlen. Ingrid Jungwirth unterstrich, dass Frauen im bundesdeutschen Durchschnitt 23 Prozent weniger als Männer verdienten. „Als Frau muss man in vielen Berufen besser sein als Männer, um anerkannt zu werden. Technologie ist ein gesellschaftlicher Machtbereich. Da bleiben Männer gerne unter sich“, sagte die Professorin.
Sonja Northing betonte, dass in Kleve „Gleichberechtigung nicht erst seit gestern völlig normal“ sei. „Im öffentlichen Dienst in Kleve haben wir sogar eine Frauenquote von 66 Prozent“, berichtete die Bürgermeisterin.
Auf Ebene der Dezernatsleitung läge die Frauenquote bei 33,33 Prozent (Sonja Northing, Jürgen Rauer und Willibrord Haas).
VON MARC CATTELAENS