Das Gebiet zwischen Hochschule, XOX und Union befindet sich im Umbruch, es warten Großprojekte. Investoren fordern bei der Zukunftswerkstatt mehr Tempo für Wohnraum, die Stadt will einen Fokus auf Klimaanpassung.
Zukunftswerkstatt
„Wir brauchen mehr Kleve-Architektur“
Von Maarten Oversteegen
KLEVE | Die Arbeiten am neuen Konrad-Adenauer-Gymnasium schreiten voran, die Radstation am Bahnhof kommt, das Berufsbildungszentrum steht bereits – nirgends in Kleve tut sich derzeit baulich so viel wie in der Unterstadt. Das Gebiet zwischen Hochschule Rhein-Waal, XOX, Union, Bensdorp und Flora-Quartier, zwischen Kalkarer Straße und Klever Ring ist die Wachstumsregion schlechthin in der Kreisstadt. Da waren sich die Experten bei der Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinische Post einig.
Und dennoch: Einen Masterplan, der seit langer Zeit von Teilen der Politik gefordert wird, gibt es noch immer nicht. Josef Gietemann, SPD-Vertreter im Stadtrat, sprach daher auch vielmehr von einem „fließenden Prozess“ für die Unterstadt. Würde es einen Masterplan geben, „würde der sowieso das ein oder andere Mal geändert werden müssen“. Um eine geordnete Bebauung auf den Weg zu bringen, sei die Entwicklung des früheren Geländes der Autoverwertung Bettray entlang der Gleise enorm wichtig, so Gietemann.
Das sieht auch der Emmericher Florian-Phillip Heuvelmann so, Geschäftsführer der Alpha Capital Holding. Er will auf dem Bettray-Gelände Wohnraum für 500 Menschen schaffen und hat dafür den Kalkarer Architekten Gunnar Adar ins Boot geholt. Allerdings betonte Heuvelmann, dass man starke Neven haben müsse, um ein solches Projekt zu realisieren. Das hat nicht nur, aber auch mit Vorgaben der Stadt zu tun, etwa mit Blick auf den Klimaschutz. „Wir gehen manchmal den vierten vor dem ersten Schritt“, sagte Heuvelmann. „Wir dürfen die Latte nicht zu hoch hängen, denn wir brauchen dringend Wohnraum, der bezahlbar ist.“ Allerdings hofft der Projektentwickler darauf, im Jahr 2025 starten zu können.
Dabei berücksichtigt Ader auch die Klimakarte der Stadt Kleve. Sie zeigt an, wo man bei neuen Planungen darüber nachdenken sollte, ob Frischluftschneisen verbaut werden und wenn ja, wie sich das auswirkt und welche Alternativen man hat. Auch wenn man wie hier eine versiegelte Flächen überplane, sei der Aufwand immens. „Ziel ist nun ein Entwurf, der durch das Berechnungsmodell gesichert ist, und der sofort sitzt“, sagte Ader. Seine Pläne sehen nicht nur Wohnraum für mehrere Hundert Menschen, sondern auch eine Tiefgarage, eine Kita, sowie Geschäftsflächen für einen Bäcker oder einen Kiosk vor.
Christian Bomblat, seit wenigen Monaten Technischer Beigeordneter bei der Verwaltung, sieht die Stadtklimakarte als „große Hilfe für Investoren“. Zumal: „Es wird mit Blick auf den Klimawandel künftig ums Kühlen und nicht ums Heizen gehen.“ Den Wunsch der Investoren nach mehr Tempo aber könne der frühere Klimaschutzmanager nachvollziehen. „Es kann noch schneller gehen und ja, ich plädiere auch dafür, dass wir als Verwaltung schneller werden“, sagte Bomblat. Aber: Die Mitarbeiter im Klever Rathaus würden bereits bis zum Anschlag arbeiten.
Und die Herausforderungen würden nicht kleiner, weil die Stadt wächst, etwa aufgrund des Zuzugs von Flüchtlingen. „Vieles, was man früher über Generationen planen konnte, kann heute nicht mehr vorhergesehen werden. Von Vielem haben wir noch keine leise Ahnung“, sagte Bomblat. Die Schullandschaft müsse ausgebaut werden, es muss auf Geheiß des Bundes eine kommunale Wärmeplanung her. Und Bomblat wies darauf hin, dass das „sehr alte“ Kanalsystem modernisiert werden müsse.
Das Thema Klimaanpassung liegt Bomblat indes besonders am Herzen, sie sei gar die größte Herausforderung seiner Amtszeit. „Sehr vieles muss sich sehr stark ändern, auch in Kleve“, sagte Bomblat. „Die Frage ist etwa: Wie gehen wir mit alten Leuten um, die im Stadtzentrum wohnen und sich nicht so leicht schützen können vor Hitze?“ Der Technische Beigeordnete rechnet mit kontroversen Debatten und schwierigen Entscheidungen in den nächsten zehn bis 15 Jahren. „Aber wir müssen mit diesen Fragen spielen, und es können ganz spannende Sachen dabei herauskommen“, sagte Bomblat. Ein wichtiger Faktor sei kluge Architektur.
Apropos Architektur: Die müsse nicht nur funktional, sondern auch schön sein, meint Restaurator Clemens Giesen. „Wenn ich Neubausiedlungen sehe, ist da das alte Haus häufig das Salz in der Suppe“, sagte Giesen, der für die Offenen Klever auch lokalpolitisch mitmischt. Wohngebiete ohne Charakter seien aber am unteren Niederrhein auf dem Vormarsch. „Manchmal denke ich: Das könnte hier auch Stuttgart-Süd sein.“ Auch Bomblat plädierte für einen niederrheinisch geprägten Bau-Stil. „Vielleicht brauchen wir mehr Kleve-Architektur“, sagte er.
Mächtig Potential sieht Giesen in der Entwicklung des alten Fabrik-Gebäudes aus Backstein auf dem Union-Gelände. „Dort könnte etwas mit sehr individuellem Charakter entstehen“, so Giesen. Doch die Entwicklung stockt seit Jahren. „Für einen Investor ist es scheinbar nicht so lukrativ.“
Werner Verhoeven (CDU), Vorsitzender des Bauausschusses, warb dafür, neben Mehrparteienhäusern auch weiterhin Raum für Einfamilienhäuser oder Doppelhaushälften zu schaffen. Die Stadt bringe für solche Vorhaben Grundstücke auf den Markt. Doch die Sorgen der Baubranche wachsen, nicht nur mit Blick auf die Inflation, die mit dem Ukraine-Krieg in Gang kam. Der Nahost-Konflikt sorgt für weitere Unsicherheiten. „Die Krisen kommen zur Unzeit“, sagte Verhoeven, denn die Nachfrage nach Wohnraum sei gewaltig.
Das sieht auch Sozialdemokrat Gietemann so, der Stellvertreter von Verhoeven als Ausschuss-Chef ist. „Die Rahmenbedingungen werden schlechter, und Fördermöglichkeiten brechen weg“, sagte das SPD-Urgestein. „Da kann ich mir vorstellen, dass ein Investor kalte Füße bekommt.“