Zukunftswerkstatt

Bausubstanz ist vielerorts dramatisch

Bei der Zukunftswerkstatt diskutierten Experten über energetische Sanierungen. Ein Thema, das an Bedeutung gewinnt und Chancen bietet. Doch es sind schwarze Schafe in der Branche unterwegs – und nicht alle Maßnahmen sind sinnvoll. Die meiste Energie geht durch schlecht abgedichtete Außenwände und das Dach verloren.

Rheinische Post vom 18.05.2024

Bausubstanz ist vielerorts dramatisch
An der Debatte nahmen RP-Regionalredakteur Ludwig Krause, Dachdeckermeister Pascal Gansberg, Julian Holtzhausen (Geschäftsführer Immo-Center), Fördermittelberater Ralf Hülsbusch, Carmen Hesse (Verbraucherzentrale), Christian Bomblat (Technischer Beigeordneter), Unternehmer Florian Heuvelmann, Energieberater Robin Reinders, Frank Rosar (Volksbank Kleverland), RP-Redakteur Maarten Oversteegen und Bürgermeister Wolfgang Gebing (v.l.) teil. Foto: dpa/Gottfried Evers

Von Maarten Oversteegen

KLEVE - Auf dem Weg zur Klimaneutralität braucht es nicht nur mehr erneuerbare Energien. Auch der Verbrauch muss gesenkt werden. Ein entscheidender Faktor dabei ist die energetische Sanierung. Das machten die Experten bei der Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post deutlich. Aber: Sie erklärten auch unisono, dass nicht jede bauliche Veränderung zwingend sinnvoll sei – jedes Gebäude müsse individuell betrachtet werden. Die Debatte trug den Titel „Energetische Sanierung: Was ist jetzt sinnvoll – und was nicht?“.

Einer, der von der zunehmenden Sensibilisierung fürs Thema energetische Sanierung profitiert, ist der Energieberater Robin Reinders. Der Klever ist vor allem mit Bestandsgebäuden betraut, und mit Blick auf die Region sagt er: „Ein Anfang ist gemacht.“ Aber es gebe noch reichlich Häuser, die zukunftsfit gemacht werden müssten. Das Problem: Es gebe zu wenige spezialisierte Firmen und Planer. Einen Fachkräftemangel erkennt auch Dachdeckermeister Pascal Gansberg. Es fehle Nachwuchs: „Die Durchfallquote ist teils erschreckend, die Arbeitsmotivation mäßig.“ Dabei gebe es eine hervorragende Zukunftsperspektive für die Branche. Denn: „Die Bausubstanz ist vielerorts dramatisch schlecht.“ Insbesondere in der Innenstadt gebe es viele unsanierte und ungedämmte Dächer.

Einer, der Eigentümer berät, wenn es ums Sanieren geht, ist Ralf Hülsbusch, Fördermittelberater bei der DZ Bank. Es gebe einen großen Gebäudebestand aus den 60er- und 70er-Jahren am Niederrhein, der auf Dauer saniert werden müsse. „Aber nicht jeder kann das stemmen“, sagte Hülsbusch. Daher gebe es Fördermittel vom Staat. Doch während früher gewissermaßen mit der Gießkanne verteilt worden sei, werde heute das Besondere gefördert, so Hülsbusch. Dass die Bundesregierung in den vergangenen Jahren aber mehrfach kurzerhand Fördertöpfe fürs Bauen gestrichen hat, habe die Bevölkerung verunsichert. „Schlimm ist die Kurzfristigkeit, die Menschen vor den Kopf stößt.“

Doch in der Branche seien auch schwarze Schafe aktiv, die unseriös beraten. „Es ist viel Aberglaube unterwegs“, sagte Gansberg. Es gebe Berater, die drängen, gleich das ganze Haus auf den Kopf zu stellen, ohne sich mit der Immobilie näher zu befassen. „Ich könnte das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren“, sagte der Dachdeckermeister. Die Verunsicherung führt viele Häuslebauer zu Carmen Hesse, Leiterin der Verbraucherzentrale im Kreis Kleve. Sie sagt: „Man muss nicht unbedingt alles auf einmal machen. Man sollte schauen, was notwendig und wirtschaftlich sinnvoll ist.“ Die Verbraucherzentrale rate stets dazu, Angebote zu vergleichen und eine individuelle Beratung zu verlangen.

Auch für die Klever Stadtverwaltung ist das Thema energetische Sanierung wichtig. Der Technische Beigeordnete Christian Bomblat verwies darauf, dass Hitze- und Starkregenereignisse zunehmen würden. Vor allem die Fußgängerzone müsse man in den Blick nehmen. „Bei 40 Grad wird sich niemand mehr hinsetzen, um ein Eis zu essen“, sagte Bomblat. Die Stadtplanung müsse stärker auf die Ziele der Klimaanpassung ausgerichtet werden. „Wir bauen heute für die nächsten 50, 60 Jahre“, sagte er. Zumal: In Zukunft würden nicht nur Heiz-, sondern auch Kühlkosten für eine „zweite Miete“ sorgen. Man habe als Verwaltung eine Stadtklimaanalysekarte in Auftrag gebeben, die man nun bei Planungen berücksichtige. „Wir beachten sie, sonst sind die Folgekosten immens“, sagte Bomblat. Ob künftig viele Häuser Klimaanlagen brauchen? „Noch können wir das vermeiden, wenn wir gut bauen“, so Bomblat. Daher müsse man auch beim Thema Sanierung zügig ran, „sonst überrollt uns das Thema.“

Bürgermeister Wolfgang Gebing erklärte, dass man in Kleve nicht mehr im großen Umfang Einfamilienhaussiedlungen bauen werde. Das Thema Sanierung sei drängender. Der CDU-Politiker warnte aber auch mit Blick auf immer strengere Klimavorgaben. Dazu passt, dass der Fachbereich Planen und Bauen der Politik zuletzt vorgeschlagen hat, so manche Vorschrift zu lockern, etwa mit Blick auf die Dachbegrünung von Gewerbehallen. „Wir müssen aufpassen, nicht immer noch einen draufzusetzen. Die Stellschrauben im Land dürfen nicht zu stark angezogen werden“, sagte Gebing. Er erklärte, dass aus Sicht der Stadt Anreize erfolgreicher seien als Vorgaben – man müsse die Menschen mitnehmen. Bomblat verwies auf die städtische Förderung für Balkonsolarmodule, die rege nachgefragt werde. Der Stadtvertreter sprach von einer „Einstiegsdroge“, denn: „Das geht ganz leicht: Man steckt das System ein und stellt eigenen Strom her. Das kann Menschen unheimlich motivieren, mehr zu tun.“

Unternehmer Florian Heuvelmann, der auf dem Bettray-Gelände am Bahnhof im großen Stil für Wohnungsbau sorgen will, sagte: „Wir wünschen uns ein paar Vorgaben weniger. Teils ersticken wir in Bürokratismus.“ Auch das Projekt an den Bahngleisen ziehe sich wie ein Kaugummi, so laufe man Gefahr, dass Wohnen Luxusgut werde. „Wenn wir uns immer neue Hürden ausdenken, wird es irgendwann keinen Wohnungsbau mehr geben“, sagte Heuvelmann. Julian Holtzhausen, Geschäftsführer des Immo-Centers der Volksbank, bestätigte, dass es im Bereich des Neubaus Nachfrageprobleme gebe, ganz anders sei die Lage bei Bestandsgebäuden. „Und da spielen Energieausweise eine riesen Rolle“, sagte er. Käufer könnten bestehende Immobilien meist zu einem moderaten Preis erwerben, nicht selten müsse aber kräftig in die Bausubstanz investiert werden.

Als ein Grund für den stotternden Wohnungsbau werden immer wieder gestiegene Kosten genannt. Frank Rosar, Generalbevollmächtigter der Volksbank Kleverland, ordnete ein: „Historisch betrachtet hat man beim aktuellen Zinsniveau Glück – die meisten empfinden das aber nicht so wegen der vergangenen drei, vier Jahre.“ Ende des vergangenen Jahrhunderts seien Zinsen im zweistelligen Bereich nicht unüblich gewesen – da komme man heute bei Krediten deutlich günstiger weg, so Rosar.