Zukunftswerkstatt

Es ist etwas ins Wanken geraten

Bei der Zukunftswerkstatt von RP und Volksbank Kleverland diskutierten Experten übers Sicherheitsgefühl in Kleve, die Idee einer Waffenverbotszone und Gewalt gegen Uniformierte. Man war sich einig, dass es mehr Personal braucht.

Rheinische Post vom 09.09.2023

Wohin steuert der Kreis Kleve?  | Die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt
Diskutanten mit Faible für Recht und Ordnung. An der Debatte nahmen Frank Ripkens, Bereichsleiter Qualitätssicherung Kredit bei der Volksbank Kleverland, Ordnungsamtsleiter Christian Seißer, der leitende RP-Regionalredakteur Ludwig Krause, Bürgermeister Wolfgang Gebing, Sicherheits- und Feuerschutzunternehmer Hans-Jürgen van Heesch, Kripo-Chef Thorsten Schröder sowie RP-Redakteur Maarten Oversteegen (von links nach rechts im Foto) teil.

Von Maarten Oversteegen

KLEVE | Nachdem es im Juli binnen weniger Tage zu zwei Messerstechereien in der Innenstadt gekommen war, diskutierte Kleve über eine Idee des Kneipenbetreibers Ludger Tiggelbeck: eine Waffenverbotszone in der Gasthausstraße, in der sich seine Kneipe „Le Journal“ befindet, oder gleich im gesamten Zentrum. Die Düsseldorfer Altstadt dient dem Wirt als Vorbild, doch auf allzu viel Zustimmung stieß die Idee in der Kreisstadt bislang nicht. Und auch bei der Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinische Post zeigten sich die Experten wenig angetan.

„Die Zahlen geben das in Kleve nicht her“, sagte Thorsten Schröder, seit drei Monaten Chef der Kripo bei der Polizei. Zwar nehmen die Delikte im Kreis unter der Überschrift „Tatmittel Messer“ zu. „Aber mit der Situation, die es in Düsseldorf oder Köln gibt, ist unsere nicht vergleichbar“, sagte Schröder. Über Langeweile aber könnten sich die Beamten auch im ländlichen Raum nicht beschweren: „Wir sind alle sehr gut beschäftigt.“

Doch wie steht es abseits der Polizeistatistiken um das Sicherheitsempfinden in der Stadt? Bürgermeister Gebing erklärte, dass es durchaus Stellen in der Stadt gebe, die man in der Dunkelheit lieber meidet – etwa die Nebengassen der Großen Straße. Allerdings sei man als Stadt mit dem Ordnungsamt bemüht, Präsenz zu zeigen. Bei Veranstaltungen, in der Fußgängerzone, an neuralgischen Orten, und das auch in der Nacht. Eine Organisationsuntersuchung soll nun zeigen, ob das Ordnungsamt mehr Personal benötigt. „Für Sicherheit braucht es Personal, und für Personal braucht es Geld. Das ist ein Spannungsfeld“, sagte Gebing. Denn: Die Kassen der öffentlichen Hand sind knapp. Dabei habe man als Kommune immer mehr Aufgaben: So müssten jährlich etwa 150 Menschen wegen einer psychischen Krankheit zwangseingewiesen werden, früher seien es halb so viele Einsätze gewesen, die das Ordnungsamt begleitet habe.

Hans-Jürgen van Heesch, der Unternehmen für Feuerschutz und Sicherheitstechnik führt, berichtete, dass der Absatz von Pfefferspray in seinem Geschäft deutlich zugelegt habe. Vor allem Frauen und Mädchen seien Kunden. „So konnten bereits viele Übergriffe verhindert werden“, sagte van Heesch. Ein vergleichbar wirksames Mittel sei eine Trillerpfeife. Durch das schrille Geräusch würden Verbrecher abgeschreckt. „So habe ich schonmal einen Mann, der mich abends nach dem Geldabholen in der Innenstadt verfolgt hatte, davon abgehalten, mich auszurauben“, sagte der Geschäftsmann.

In der Debatte, die vom Leitenden RP-Regionalredakteur Ludwig Krause moderiert wurde, waren sich die Diskutanten einig, dass verbale, zuweilen aber auch körperliche Gewalt vor allem gegenüber Uniformierten zunimmt. „Es ist ganz deutlich ein gesellschaftlicher Wandel erkennbar, vor allem verbal werden wir viel häufiger angegangen“, sagte Ordnungsamts-Chef Christian Seißer. „Und als Ordnungsamt müssen wir uns immer neu den gesellschaftlichen Gegebenheiten anpassen.“ Daher tragen seine Mitarbeiter mittlerweile bei vielen Einsätzen eine stichsichere Weste.

Verwaltungschef Gebing pflichtete ihm bei: Die Zündschnur vieler Menschen sei kürzer geworden. So müssten sich Stadtmitarbeiter mächtig etwas anhören, wenn es in Kleve zu Evakuierungen aufgrund von Bombenentschärfungen kommt. „Da wird man schonmal harsch angegangen“, sagte Gebing. Ein Phänomen, das auch Schröder kennt, bei der Polizei vor allem als Delikt des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte bekannt. „Es ist etwas ins Wanken geraten, die Hemmschwelle ist deutlich gesunken“, sagte der Kripo-Chef, der zuvor in Duisburg tätig war. Sogar Feuerwehrleute, Notärzte und Rettungssanitäter würden attackiert. Auch bei Jugendlichen würde man einen stärkeren Hang zu Gewalt feststellen. So empfahl Schröder einen Fokus auf Medienkompetenz in Schulen, Seißer warb dafür, den Nachwuchs von Ballerspielen fernzuhalten.

Thorsten Schröder aber war es wichtig, festzuhalten, dass die Region nicht mit ausufernder Kriminalität zu kämpfen habe. Ganz im Gegenteil: Während der Kreis Kleve nur 1,76 Prozent der Gesamtbevölkerung in Nordrhein-Westfalen ausmacht, liege der Anteil an den Straftaten im Land bei 1,49 Prozent. Hinzu komme, dass die Aufklärungsquote im Kreis vor allem bei schweren Delikten hoch sei. „Man kann hier immer noch sehr gut leben.“

Aber bietet es nicht Anlass zur Sorge, dass im Januar an einem Sonntag ein Geldautomat in der Klever Innenstadt gesprengt wurde? Und das gegen 22 Uhr, nicht etwa tief in der Nacht. Die Täter müssen sich also schon ziemlich sicher bei ihrer Sache gewesen sein. Eine besonders dreiste Tat sei das gewesen, meinte Schröder, die Täter würden organisiert und skrupellos vorgehen. Zumal die Flucht häufig lebensgefährlich sei: „Wenn ein Audi S8 mit ausgeschaltetem Licht über den Standstreifen rast, bringt man nicht nur sein eigenes Leben, sondern auch das aller anderen Verkehrsteilnehmer in Gefahr“, sagte Schröder. Man werde alles dafür tun, die Banden hinter Gitter zu bekommen, so der Kripo-Chef.