Chan­cen in der deutsch-nie­der­län­di­schen Grenz­re­gi­on

Über die Chan­cen in der deutsch-nie­der­län­di­schen Grenz­re­gi­on dis­ku­tier­te die Zu­kunfts­werk­statt der Volks­bank Kle­ver­land und der Rhei­ni­schen Post. Wie sieht es im Ein­zel­han­del aus? Was ma­chen die Event­bran­che, Wirt­schaft und In­dus­trie?

Chan­cen in der deutsch-nie­der­län­di­schen Grenz­re­gi­on
Auf dem Foto von links nach rechts: Lukas Krause, Dr. Andreas Henseler, Matthias Grass, Freddy Heinzel (sitzend), Wolfgang Gebing, Eric Jansen, Han Groot Obbink, Christoph Thyssen

Von Mat­thi­as Grass

KREIS KLE­VE | Die Si­tua­ti­on könn­te ge­gen­sätz­li­cher kaum sein: Der Ein­zel­han­del hat schwer zu lei­den. Der Event­be­reich – wie Mes­sen und Aus­stel­lun­gen im Wun­der­land Kal­kar – ist in der Re­gi­on über die Co­ro­na-Kri­se re­gel­recht ein­ge­bro­chen, er­hol­te sich im Ok­to­ber und liegt jetzt wie­der am Bo­den. Die üb­ri­ge Wirt­schaft hin­ge­gen boomt. Und sie hat neue al­te Freun­de neu ent­deckt: die Kol­le­gen auf der an­de­ren Sei­te der Gren­ze. Die Wirt­schaft er­spü­re an­ge­sichts ge­ris­se­ner Lie­fer­ket­ten den Vor­teil der Nä­he zu den Nie­der­lan­den, sagt Fred­dy Hein­zel, Ho­no­rar­kon­sul der Nie­der­lan­de in Kle­ve.

Nicht nur der Kon­sul mal­te den Vor­teil der Grenz­re­gi­on in den schil­lernds­ten Far­ben. IHK-Ge­schäfts­füh­rer An­dre­as Hen­seler er­klär­te, dass laut ei­ner Blitz­um­fra­ge der IHK die Wirt­schaft der­zeit nur ein Pro­blem ha­be: Wie hal­te ich die Pro­duk­ti­on auf­recht. Und da ha­be man ge­lernt, dass man sich bes­ser auf Be­zie­hun­gen ver­las­sen kön­ne, die jah­re­lang er­probt sei­en. Dass ein „Blu­men­topf“ nicht zwin­gend aus Pe­king kom­men muss, son­dern auch in Amers­fo­ort be­stellt wer­den kann: „Das hat uns Co­ro­na deut­lich ge­macht“. Aber auch oh­ne Co­ro­na auf die Chan­cen der einst als Pe­ri­phe­rie be­trach­te­ten Grenz-Re­gi­on ge­schaut: „Wir ha­ben hier ei­ne kla­re Zu­kunfts­per­spek­ti­ve“, sagt Hen­seler. Da­zu lie­fert Hein­zel die Zah­len: 177 Mil­li­ar­den Eu­ro wur­den 2020 zwi­schen Deutsch­land und den Nie­der­lan­den ver­han­delt, der Kreis Kle­ve lie­ge im Ein­zugs­ge­biet ei­nes neu­en nie­der­län­di­schen Bal­lungs­rau­mes mit fast 1,5 Mil­lio­nen Men­schen. Da ma­che selbst ei­ne für den Ort viel zu gro­ße Ein­kaufs­are­na in Kra­nen­burg Sinn.

„Chan­cen des Grenz­ge­bie­tes als deutsch-nie­der­län­di­scher Wirt­schafts­raum“ war das The­ma bei der Zu­kunfts­werk­statt von Volks­bank Kle­ver­land und Rhei­ni­sche Post, bei der Kle­ves Bür­ger­meis­ter Wolf­gang Ge­bing, Fred­dy Hein­zel, An­dre­as Hen­seler so­wie Eric Jan­sen, Ge­schäfts­füh­rer von Be­da­chun­gen Jan­sen, und Han Groot Ob­bink, Ge­schäfts­füh­rer Wun­der­land, so­wie Chris­toph Thys­sen von der Volks­bank Kle­ver­land un­ter der Mo­dera­ti­on von Lud­wig Krau­se, lei­ten­der Re­gio­nal­re­dak­teur der RP, dis­ku­tier­ten.

Auf der ei­nen Sei­te ste­hen die schil­lern­den Chan­cen, auf der an­de­ren gibt’s aber auch Hemm­nis­se. So hat Eric Jan­sen für den gro­ßen nie­der­län­di­schen Ge­ne­ral­un­ter­neh­mer (GU) Ten­brin­ke zwar in Deutsch­land vie­le gu­te Auf­trä­ge. Doch wenn ein deut­scher Hand­wer­ker in den Nie­der­lan­den oder ein nie­der­län­di­scher in Deutsch­land ar­bei­ten will, wird’s kom­pli­ziert (auch wenn der nie­der­län­di­sche Kun­de un­kom­pli­zier­ter sei und deut­sche Hand­wer­ker we­gen ih­rer gu­ten Aus­bil­dung ge­fragt sei­en, sagt Jan­sen). Das Pro­blem sei der Be­hör­den­dschun­gel mit sei­nem Wust von völ­lig un­ter­schied­li­chen Be­stim­mun­gen und Vor­schrif­ten dies­seits und jen­seits der Gren­ze. „Da müs­sen wir ran“, sagt Hen­seler mit Blick auf Han­del und Hand­werk, Kam­mern, Hoch­schu­len und Schu­len.

Ein wei­te­res Pro­blem vor al­lem bei der Re­gio­nal­pla­nung: „Aus Düs­sel­dor­fer Ver­wal­tungs-sicht sind wir das En­de der Welt. Da­ge­gen hat der Han­del längst die gu­te La­ge Kle­ves er­kannt, wie das Es­se­ner Un­ter­neh­men Ga­le­ria zeigt: Es hat Kle­ve als Bei­spiel­stand­ort aus­er­ko­ren“, sagt der Kle­ver Bür­ger­meis­ter. Dem pflich­tet Hein­zel bei: „Das Land hört ja nicht an der Gren­ze von NRW auf, hier ha­ben wir in 30 Ki­lo­me­ter Ent­fer­nung mit Nim­we­gen und Arn­heim den An­fang ei­nes wirt­schaft­li­chen Kern­ge­bie­tes“, sag­te er. Aber: „Wis­sen wir das?“, setz­te Groot Ob­bink ein Fra­ge­zei­chen da­hin­ter – nicht, weil er die Chan­cen nicht se­he, son­dern weil das au­ßer­halb der Grenz­re­gi­on nicht rich­tig wahr­ge­nom­men wer­de.

Jan­sen brach­te die Un­ter­schie­de der „Sys­te­me“ bei­spiels­wei­se beim Bau auf den Tisch: Wäh­rend in Deutsch­land je­der Hand­wer­ker ein­zeln aus­ge­schrie­ben wer­de, lie­ge es in den Nie­der­lan­den in ei­ner Hand beim „Aan­ne­mers­be­dri­jf“. Zu­gleich sei­en auf nie­der­län­di­scher Sei­te deut­sche Fens­ter­bau­er be­liebt, Kü­chen­bau­er eben­so. Gu­tes Hand­werk eben. „Wir müs­sen uns mehr be­kannt ma­chen“, sagt Jan­sen.

Aber ein noch grö­ße­res Pro­blem ei­nigt Hand­werk und In­dus­trie auf bei­den Sei­ten: feh­len­der Nach­wuchs, so Jan­sen. Und scherzt: „Die wer­den heu­te al­le You-Tu­be-Star oder In­flu­en­cer“. Das Hand­werk müs­se dar­an ar­bei­ten, wie­der mehr Nach­wuchs zu ge­win­nen. Mit Blick auf wan­deln­de Märk­te in Rich­tung Re­gio­na­les lä­gen wei­te­re Chan­cen: „Wir ha­ben hier al­les vor Ort“, so der Nie­der­län­der.

Zu­rück zum Ein­zel­han­del: Der hät­te in Kle­ve oh­ne Nie­der­län­der ein gro­ßes Pro­blem, sagt Ge­bing. Groot Ob­bink setzt ge­zielt auf so­zia­le Me­di­en: „Wir sind auf In­sta­gram, Tik­Tok und Face­book un­ter­wegs“. Der Ein­zel­han­del sei im Um­bruch. „Wir müs­sen uns hier Ge­dan­ken über die Er­war­tungs­hal­tung der Kun­den ma­chen – auch mit Blick auf den Er­leb­nis­ein­kauf“, sagt Hen­seler.

Des­halb gel­te mit Blick auf die Nie­der­lan­de für die künf­ti­gen Wirt­schafts­för­de­rer von Stadt und Kreis: „Sie müs­sen die Nie­der­lan­de und die Re­gi­on bes­tens ken­nen und sie müs­sen Nie­der­län­disch spre­chen“, sagt Hein­zel. Oder gleich Nie­der­län­der sein, fügt Groot Ob­bink an.