Zukunftswerkstatt

„Wir müssen die Innenstädte neu denken“

Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinische Post: „Neuer Schwung in bewegten Zeiten – wie geht Wirtschaftsförderung im Jahr 2022?“ lautete das Thema, zu dem intensiv debattiert wurde.

VON MATTHIAS GRASS

Wir müssen die Innenstädte neu denken
Die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt: Ute Marks, Frank Ruffing, Theo Brauer, Ralf Matenaer, Matthias Grass, Silke Gorißen, Ludwig Krause und Charmaine Haswell (v.l.).

KLEVE | Unternehmen für die Region gewinnen, die vorhandenen Betriebe halten sowie Gewerbeflächen vermarkten – die klassischen Felder der Wirtschaftsförderung reichen in diesen Zeiten nicht mehr aus. Wer seine Wirtschaft vor Ort wirklich fördern will, muss sich auch um die Ausbildung kümmern, muss Formate haben, die junge Menschen und Wirtschaft zusammenbringen. Und was die Innenstädte anbetrifft: Hier ist neues Denken angesagt. Die Zahl der Städte, die sich allein auf den Handel in der City stützen können, wird von Jahr zu Jahr übersichtlicher. Das ist die Quintessenz der Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinische Post. „Neuer Schwung in bewegten Zeiten – wie geht Wirtschaftsförderung im Jahr 2022“ lautete das Thema, zu dem intensiv debattiert wurde.

Charmaine Haswell, die neue Wirtschaftsförderin der Stadt Kleve, lieferte gleich weiter künftigen Themen: Digitalisierung, Lieferketten-Probleme und Nachhaltigkeit müsse man im Blick haben. Aber auch künftige Flächen, um eingessenen Unternehmen eine Erweiterung zu ermöglichen und neue Betriebe für die Stadt zu gewinnen, sagt Haswell.

Das kann Kreishandwerksmeister Ralf Matenaer bestätigen. Bei vielen Handwerksbetrieben herrsche Vollauslastung. „Ein Handwerker sagt nicht gerne ,Nein‘ wenn es um einen Auftrag geht. Aber derzeit geht es nicht anders“, sagt er. Es gebe Innungen wie Heizung und Sanitär, die teils bis zu einem Jahr Vorlaufzeit für größere Aufträge haben, sagt der Kreishandwerksmeister. Er hofft, dass es Anfang 2024 besser wird. Keine Entwarnung sieht Matenaer bei den Preisen. Denn dass Rohstoffpreise und vor allem Energiekosten runter gehen, sei nicht in Sicht. Das führe auch zu Lieferproblemen. „Wir haben zum Beispiel zeitweise keine Dachziegel bekommen, weil wegen der hohen Gaspreise keine gebrannt wurden“, sagt Matenaer, der einen Dachdeckerbetrieb hat.

Eine Entwarnung bei den Preisen sieht auch Frank Ruffing, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Kleverland, nicht. Die Situation verschärfe sich auch durch steigende Zinsen und unsichere Förderungen durch die KfW-Bank. Es gebe teils Bauvorhaben, die deshalb gar nicht erst begonnen werden. Das könnte dann wieder zu weniger Aufträgen führen.

Während für mögliche Vergrößerungen von Handwerksbetrieben noch Flächen in den Kommunen vorgehalten werden könnten, fehle es aber oftmals auch an großen Grundstücken für flächenintensive Unternehmen, erklärt Kreis Kleves Landrätin Silke Gorißen. Hier helfe dann die Kreiswirtschaftsförderung, ein suchendes Unternehmen vielleicht nicht am Ort, dafür aber in der der Region zu halten. „Wir wissen beim Kreis wo in welcher Kommune wie viel Fläche vorhanden ist“, erklärt sie. Die Landrätin weiß aber auch, dass die Autobahnnähe, ein Schienenanschluss oder der Rhein ausschlaggebend sein können für eine Ansiedlung. Da helfe der Gewerbeflächenpool, erklärte Theo Brauer, der bei der Schaffung dieses Pools Bürgermeister der Stadt Kleve war.

Problematisch sieht es bei den Innenstädten aus, erklärt Ute Marks, Abteilungsleiterin Stadtmarketing und Citymanagement bei der Stadt + Handel GmbH. „Wir müssen die Innenstädte neu denken“, sagt Marks. Allein nur Handel werde auf Dauer nicht funktionieren. Hier seien aber auch die Immobilienbesitzer gefordert, für mehr Aufenthaltsqualität in der Stadt zu sorgen, ihre Immobilien attraktiver zu machen. „Da hilft nur reden, reden, reden“, sagt sie. Da müsse bei den Gebäuden ein Qualitäts-Check her – und das auch mit Blick auf den Klimaschutz. Sie begrüße deshalb das Überfliegen von Städten mit Wärmebildkameras, die zeigen, wo es besonderes mit der Dämmung im Argen liegt und dringend saniert werden sollte. Wenn man mehr Wohnraum über den Geschäften schaffe, sorge das für eine Belebung der Innenstadt. Zudem müsse man darüber nachdenken, die einstige Trennung von Handel, Wohnen und Gewerbe wieder rückgängig zu machen: Zwischen den Geschäften müsse man künftig auch an Handwerk oder zumindest Kunsthandwerk denken.

Allerdings warf Marks ein, dass es dem Einzelhandel wie dem Handwerk ergehe: Es fehlen gut ausgebildete Fachkräfte. „Wir haben Zahlen, die belegen, dass sich der Kunde überwiegend online informiert und dann doch offline kauft“, sagt sie. Diese Kunden müsse man mit guter Beratung empfangen. Matenaer hingegen erklärte, dass der Einzelhandel derzeit auch noch mit den Nachwehen der Corona-Krise zu kämpfen habe, dass ihm, ähnlich wie dem Gastgewerbe, einfach die Kräfte fehlen, um beispielsweise noch zusätzliche einen verkaufsoffenen Sonntag stemmen zu können. Alle waren sich einig: Es gelte, gute Aufenthaltsqualität zu schaffen,etwa Plätze zu bauen. Verwundert zeigte sich die Runde, dass man diese in Teilen schon vor Jahren vorgestellten Planungen in der Kreisstadt einfach nicht umgesetzt bekomme.

Matenaer unterstrich, dass Handwerk immer noch „goldenen Boden“ habe und man junge Menschen für dafür gewinnen müsse. „Man kommt mit dem Meisterbrief bis auf den Chefsessel“, bestätigte Gorißen. Die Landrätin verwies hier auf die Berufsbildungstage im Berufskolleg des Kreises Kleve, die unter anderem Handwerk und Schüler zusammenführten und füreinander begeisterten. „Das ist Wirtschaftsförderung“, sagte die Landrätin. Einig war man sich auch, dass langfristig Deutschland und auch der Niederrhein ein Einwanderungsgesetz brauche und beispielsweise in anderen Ländern werben müsse: „Es gibt viele Länder mit hoher Jugendarbeitslosigkeit – wir müssen diesen Menschen eine Perspektive bieten“, sagt Ruffing. Das sah Gorißen nicht anders: Der Verdienst und die soziale Absicherung seien in Deutschland vergleichsweise gut. Fazit: „Wir brauchen dauerhaft Einwanderung“. Das bestätigte auch Matenaer: Schon jetzt gebe es Branchen, in denen viele Arbeitnehmer aus nicht-europäischen Ländern den Laden am Laufen halten.

Bleiben die Chancen der Zusammenarbeit mit der Hochschule Rhein-Waal (HSRW), die noch besser genutzt werden müssen: Haswell sieht hier eine sehr gute Zukunftsperspektive für die hiesige Wirtschaft, die es zu nutzen gelte. Gorißen erklärte, dass die Vernetzung zwischen HSRW und hiesiger Wirtschaft erklärtes Ziel der Präsidiums der HSRW sei.