Zukunftswerkstatt

Karneval zwischen Kultur und Party

Die Vorbereitungen für die nächste Session laufen, die Begeisterung ist ungebrochen.  Karnevalisten jedoch kämpfen mit hohen Kosten. Auch die Partykultur ändert sich. Die Narren diskutierten bei der Zukunftswerkstatt, wie es weitergeht. Der Karneval am Niederrhein hat Nachwuchs und Tradition – manches aber befindet sich im Wandel.

Rheinische Post vom 23.03.2024

Zukunftswerkstatt - Karneval zwischen Kultur und Party
An der Debatte nahmen RP-Redakteur Maarten Oversteegen, Stephan Weber (Senatspräsident Kalkarer Karnevalisten), Wolfgang Heimings (Präsident Bedburg-Hauer Tulpensonntags Komitee), Klaus Bitter (Adjutant Tulpenprinzessin Claire I.), Ex-Bürgermeister Theo Brauer (Volksbank Kleverland), Jochen van Heek (Vorsitzender Klever Rosenmontags-Komitee), Ulrich Vervoorts (Vorsitzender KG Krunekroane), Benedikt Kreusch (Klever Karnevalsprinz „der Kreative“) sowie der leitende RP-Regionalredakteur Ludwig Krause (v.l. im Foto von G. Evers) teil.

Von Maarten Oversteegen

KLEVE |Knapp sechs Wochen sind seit der heißen Phase der Karnevalssession vergangen.  Und doch sagte Benedikt Kreusch, Klever Karnevalsprinz „der Kreative“, bei der  Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post: „Manche Endorphine  werden nie runtergehen.“ Zumal gilt: Nach Karneval ist vor Karneval, die Planungen für die Session 2024/2025 sind also längst angelaufen. Und Kreusch rief dazu auf, sich grundsätzliche Gedanken über das jecke Treiben in der Region zu machen: „Ein einfaches ,Weiter so’ gibt es nicht.“ Es gehe darum, die Zukunft zu gestalten. Dazu passte der Titel der Zukunftswerkstatt: „Narren-Gipfel in zivil: Wie Karneval verbindet und Bleibendes schafft.“

Und bei einer Sache herrschte große Einigkeit unter den Jecken: Die vergangene Session sei eine richtig gute gewesen. „Die Stimmung war unglaublich“, sagte Ulrich Vervoorts,  Vorsitzender der KG Krunekroane in Kranenburg. Kreusch erkennt einen Trend: „Emmerich,  Bedburg-Hau, Kalkar, Goch, Kleve ode r Kranenburg – wir haben gemeinsam Karneval  gefeiert.“ Daher habe es auch eine WhatsApp-Gruppe der Tollitäten im Nordkreis gegeben,  der Austausch sei eng gewesen, so der Brejpott-Quaker.

Der hiesige Karneval wird zusehends auch von Niederländern geprägt. Ein Segen? Ex-Prinz und Ex-Bürgermeister Theo Brauer sagte: „Die Niederländer sind eine Ergänzung, sie durchdringen unsere Seele.“ Dem schloss sich Jochen van Heek, Vorsitzender des Klever Rosenmontags-Komitees, an: „Wenn wir die Holländer nicht hätten, wären unsere Umzüge viel kleiner. Und sie sorgen für richtig Stimmung.“ Die Gäste aus dem Nachbarland werden allerdings auch mit schriller und lauter Party-Musik bei den Umzügen in Verbindung gebracht. Kreusch bestätigte, dass die Niederländer Party und Musik in den Vordergrund rücken, aber: „Wir brauchen Menschen, die den Karneval leben und lieben – egal, woher.“

Während Sport-, Schützen- oder Heimatvereine Nachwuchssorgen haben, erfreut sich der Karneval aber offenbar weiterhin großer Beliebtheit. In Kranenburg würden Mädchen teils schon wenige Tage nach der Geburt in der Tanzgarde angemeldet, so Vervoorts. Der Nachwuchs sei da. Das muss sich auch in den verantwortlichen Positionen fortsetzen. „Nur manchmal wollen die Alten auch nicht abgeben“, sagte er. Im Gegenzug würden Jüngere teils Arbeit und Verantwortung scheuen. „Aber die Mischung macht es“, sagte Vervoorts. Wolfgang Heimings, Präsident des Bedburg-Hauer Tulpensonntags Komitees, sagte: „Die Jugend orientiert sich in Teilen anders, da spielen soziale Medien eine große Rolle. Aber die, die da sind, wollen richtig.“

Klaus Bitter, Adjutant und Vater der Tulpenprinzessin Claire I., berichtete, dass es an Tänzerinnen nicht fehle – allein bei der Hasselter HCG gebe es 120. „Das Ganze muss wachsen: Aus Tänzerinnen werden Trainerinnen, die dann womöglich später auch im Vorstand mitarbeiten“, sagte Bitter. Ehrenamtliche für Vorstandsposten zu gewinnen, sei heute aber tatsächlich herausfordernder als früher. Stephan Weber, Senatspräsident der Kalkarer Karnevalisten, verwies auf die Landflucht junger Menschen, wenn es nach dem Abitur ums Studium geht: „Das ist ein strukturelles Problem. Aber viele kommen auch nach Jahren zurück und packen dann im Karneval mit an.“ Es fehle indes an Büttenrednern, zudem seien Einzelsänger fast komplett von den Bühnen verschwunden, so Weber.

Die finanziellen Herausforderungen sind groß. Vervoorts berichtete von horrenden Musik-Rechnungen der Gema, zudem müsse man auf externe Wagenbegleiter setzen. „Wir bewegen einen riesen Apparat und würden uns dabei durchaus mehr Unterstützung wünschen“, sagte der Kranenburger. Jochen van Heek sprach davon, dass der Klever Rosenmontagszug „eine ganz dicke fünfstellige Summe“ koste. Und die Vorbereitungen ziehen sich übers ganze Jahr. „Da würde ich mir von Seiten der Bevölkerung mehr Verständnis wünschen. Nicht nur finanziell, sondern auch in Form von Anerkennung“, sagte er.

Prinz Benedikt hatte in dieser Session dem Klever Kneipenkarneval neues Leben eingehaucht. „Viele schwärmen von der Zeit, als der Karneval in Kneipen gefeiert wurde. Es war mir ein Anliegen, diese Tradition ins Gedächtnis zu rufen – und das haben wir geschafft“, sagte Kreusch. So gab es eine Alternative zum Feiern im großen Festzelt, zumal: „Unsere Besuche waren keine Stippvisiten, wir haben uns Zeit genommen und Programm geboten.“ Auch Brauer erinnerte daran, wie die Jecken an den Tresen feierten: „Früher gab es allein an der Strecke des Rosenmontagszugs 15 Kneipen.“ Für Kreusch geht es nun zuvorderst darum, Wandel zu gestalten, ihn zu steuern. „Partykultur lässt sich nicht vermeiden“, so „der Kreative“. Aber: Es müsse nicht sein, dass saufende Jugendliche das Geschehen prägen. „Immerhin geht es um ein hohes kulturelles Gut“, sagte Kreusch.