Kleve · Findet die Verkehrswende in Kleve statt oder wird nur der Mangel verwaltet? Über diese Fragen diskutierten Experten bei der Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post. Einig waren sich die Fachleute, dass es dringend mehr Geld und Innovation im ÖPNV braucht. Und ein Mentalitätswandel muss her.
Wachsende Probleme in Kleve
„Der ÖPNV steht kurz vor dem Kollaps“
Rheinische Post vom 22.02.2025

Von Maarten Oversteegen
Es ist nur eine Stichprobe, ein kleiner Ausschnitt der Realität, und doch sagt sie etwas aus: Von den Mobilitätsexperten, die am Montagabend bei der Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post über die Situation im ÖPNV diskutierten, war keiner mit Bus oder Bahn angereist. Das Auto stand hoch im Kurs, zudem das Fahrrad, so mancher kam zu Fuß gen Spoyufer. Und Christoph Thyssen, Prokurist des gastgebenden Kreditinstituts, verwies darauf, dass es derzeit nicht allzu viele Arbeitnehmer in seinem Haus gebe, die mit den „Öffis“ zur Arbeit kommen.
Immer wieder höre er von der vermeintlichen Problematik, dass der ÖPNV nicht kostendeckend sei. Neuß schüttelte mit dem Kopf: „Der Individualverkehr ist auch nicht kostendeckend. Parkplätze oder Straßen sind sehr teuer, nur werden sie häufig nicht in die Berechnung miteinbezogen.“ Auch Giesen meinte: „Die Frage, wie viel guten ÖPNV es geben soll, ist eine politische.“ Das heißt: Wenn der Staat mehr Busse und Bahnen will, muss er auch Geld in die Hand nehmen. „Die Lücke zwischen Realität und Anspruch können wir nicht als ÖPNV-Unternehmen schließen“, sagte der Niag-Vertreter. Immerhin, so sagte es Neuß, sei das Deutschland-Ticket zu einem großen Erfolg avanciert: Günstig und einfach sei es. „Nun braucht man kein Fahrgast-Abitur mehr“, sagte Neuß.
Der IT-Architekt Andreas Lietschulte ist Teil einer bei der Hochschule Rhein-Waal angesiedelten Gruppe, die die Idee verfolgt, zwischen Kleve und Groesbeek KI-basierte Einschienenbahnen, sogenannte Monocabs, fahren zu lassen. Die elektrisch betriebenen Kabinen fahren kreiselstabilisiert auf nur einem einzelnen Schienenstrang. Wir berichteten ausführlich über das Projekt. Lietschulte sieht mit Blick auf den ÖPNV ein tiefgreifendes Problem: Die Denkmuster, mit Hilfe derer heute über Mobilität gesprochen wird, seien die gleichen wie in der Nachkriegszeit. „Wir denken im ÖPNV fahrerbasiert“, sagte Lietschulte. Man sei abhängig von Fachkräften, die Busse und Bahnen steuern. Nur gebe es da einen großen Mangel. Deshalb sagte Lietschulte: „Der ÖPNV steht kurz vor dem Kollaps, bald können wir uns nicht mehr nach vorne und nach hinten bewegen.“ Man müsse dringend innovativer denken, auch aus sozialen Gründen. „Wie soll jemand, der in Griethausen wohnt, zu seiner Putzstelle im Krankenhaus in Kalkar kommen?“, fragte Lietschulte. Das sei nicht möglich, daher müsse man über neue Formen des Vorankommens nachdenken.
Zumal in der Metropolregion Nimwegen-Arnheim in den nächsten Jahren 100.000 neue Wohnungen entstünden. „Das legt uns den Straßenverkehr lahm“, warnte Lietschulte. Doch vielerorts lägen stillgelegte Schienen, die es zu nutzen gelte. „Wir ignorieren sonst strukturelle Chancen“, sagte der IT-Fachmann. Auch in der Region sei die Infrastruktur bereits vorhanden, der Streckenabschnitt zwischen Kleve und Groesbeek eigne sich bestens für Monocabs. „Damit bekäme die Grenzregion auch ein Alleinstellungsmerkmal, es würden viele Innovationstouristen kommen“, sagte Lietschulte.
Bernhard Klockhaus, Fachbereichsleiter Tiefbau im Klever Rathaus, berichtete, dass man unlängst die Grundlagen fürs Mobilitätskonzept für die Landesgartenschau 2029 erstellt habe. Und: „Wir haben das Bedürfnis, dass da kreativ gedacht wird.“ Daher seien für das Großevent Wassertaxis für die Spoy vorgesehen, zudem soll die Draisinenstrecke „bespielt“ werden – das passt zu den Plänen von Lietschulte und Kollegen.
Womöglich könne so langfristig auch der ÖPNV-Anteil an der Klever Mobilität steigen, der bislang nur bei zwei bis vier Prozent liege. „Wir werden nicht den Zehn-Minuten-Takt wie im Ruhrgebiet hinbekommen, aber man muss die kleinen Schritte gehen“, sagte Klockhaus. Das sah auch Giesen so: Es werde nicht helfen, allein die Zahl der Linienbusse zu erhöhen, stattdessen müsse man verschiedene Mobilitätsformen attraktiv machen, darunter auch Carsharing oder On-Demand-Angebote. Und der Niag-Vorstand regte einen Sinneswandel an. Deutschland sei eine Autofahrer-Nation, aber das Fahrzeug sei in vielen Fällen eher ein „Stehzeug“. „Wir müssen zu Verhaltensänderungen kommen“, sagte Giesen.
Was ist da los? Peter Giesen, Vorstand der Niederrheinische Verkehrsbetriebe AG (Niag), erklärte, dass die Zuverlässigkeit ein Problem sei, zudem sei das Angebot mancherorts noch zu gering. Man könne den Betrieb der Niag weiter optimieren, Giesen sagte aber auch: „Wir sind nicht alleine auf der Welt.“ Vielfach würden Busse von den Straßenverhältnissen ausgebremst. Hinzu komme, dass es heute eine schwierige Aufgabe sei, Fahrpersonal zu finden. Da stößt man auch auf ganz praktische Hürden: Um kurz vor acht Uhr erreicht der Schulbusverkehr seinen Höhepunkt. Doch was machen die Busfahrer in der Folge? Für viele ist eine lange Pause die tägliche Realität, um dann mittags wieder zu fahren. „Versetzte Anfangszeiten in den Schulen wären hilfreich“, sagte Giesen.
Petra Tekath (SPD), Vorsitzende des Klever Mobilitätsausschusses, meinte, dass sich längst viele Menschen von Bussen und Bahnen verabschiedet hätten, weil sie unzuverlässig seien. „Als Arbeitnehmer ist man in der Region fast gezwungen, ein Auto anzuschaffen“, sagte die Sozialdemokratin. Ganz ähnlich sah es Hedwig Meyer-Wilmes, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Klever Rat. Sie meinte gar: „Die Verkehrswende findet in Kleve nicht statt.“ Vor allem die Situation rund um den RE10 – derzeit bereiten defekte Züge Sorge –, sei ein „verkehrspolitisches Desaster“. „Man macht schon Luftsprünge, wenn der Zug fährt.“ Für Lokalpolitiker sei es indes schwierig, den ÖPNV zu gestalten, weil die Planungen unflexibel seien: Nicht selten laufen Verträge über viele Jahre.
Ein echtes Erfolgsmodell aber gebe es in der Kreisstadt: der Citybus, der durch die Innenstadt fährt. „Es gab in der Vergangenheit diverse Versuche, ihn zu verlängern“, sagte Meyer-Wilmes. Eine Mehrheit aber fand das Ansinnen nicht, Gegner argumentieren vor allem mit der fehlenden Wirtschaftlichkeit. Bei der Mobilität dürfe man aber nicht nur auf Bus und Bahn schauen. „Es sollte darum gehen, die Vielseitigkeit der Mobilität zu verbessern“, sagte die Grünen-Politikerin. In Kleve gebe es viele Menschen, die „fietsen“. „Dafür gibt es aber überhaupt keine Belohnung, etwa in Form von Radschnellwegen“, sagte Meyer-Wilmes. Stattdessen gehe der Ausbau der Radinfrastruktur schleppend voran: Ein vor zehn Jahre auf den Weg gebrachter Radweg vom Zentrum aus gen Wardhausen werde erst jetzt errichtet.
Doch wie könnte die Situation auf der Schiene verbessert werden? Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes „Pro Bahn“ und Vorsitzender des Verbandes am Niederrhein, erklärte, dass für die Infrastruktur der Strecke zwischen Kleve und Düsseldorf die Deutsche Bahn verantwortlich sei. Sie habe in der Vergangenheit investiert, bislang jedoch ohne damit eine Trendwende für leidgeplagte Pendler einzuleiten. Neuß sieht ein strukturelles Problem: „Es gibt bei der Bahn zu wenig Geld. Mit den jetzt vorhandenen Mitteln kann die Infrastruktur nicht mehr funktionieren.“