Der Frauenanteil im Rat liegt nur knapp über 30 Prozent, fast alle Chefstellen im Rathaus werden von Männern besetzt. Bei der Zukunftswerkstatt diskutierten Entscheidungsträgerinnen und der Bürgermeister über Stereotype und die Quote.
Zukunftswerkstatt
Warum die Politik mehr Frauen braucht
Rheinische Post vom 22.06.2024
Von Maarten Oversteegen
KLEVE - Sie war Bundestagsabgeordnete, Staatssekretärin, Umweltministerin, Schatzmeisterin der SPD – und ein Vorbild für viele Nachwuchspolitiker: Barbara Hendricks, die 2015 das Pariser Klimaschutzabkommen mitverhandelte, machte vor drei Jahren Schluss mit der aktiven Politik. Wenn sie über die Teilhabe von Frauen spricht, spürt man aber noch immer das Feuer, die unbedingte Leidenschaft, betonierte Denk- und Handlungsmuster zu überwinden. Auch, um die Demokratie zu stärken. Die 72-Jährige sagte bei der Zukunftswerkstatt der Rheinischen Post und der Volksbank Kleverland: „Frauen trauen sich grundsätzlich weniger zu als sie können – bei Männern ist es umgekehrt. Und das ist ein Problem.“
Unter dem Titel „Frauen an die Macht – braucht es eine Quote in Politik und Verwaltung?“ diskutierten Entscheidungsträgerinnen aus der Region darüber, wie mehr Frauen für die Arbeit in Rathäusern, Stadträten und im Kreistag gewonnen werden können. Melissa Buiting, Personalleiterin der Volksbank Kleverland, brachte es auf den Punkt: „Es ist eigentlich traurig, dass wir überhaupt über das Thema reden müssen.“ Das sieht auch Hendricks so, sogar im Bundestag sei man von Parität noch weit entfernt: Etwa ein Drittel der Parlamentarier sind weiblich, vor allem Union, FDP und AfD sind beim Frauenanteil schlecht aufgestellt.
Andrea Schwiete, Parteichefin der CDU in der Kreisstadt, fand bereits als 17-Jährige in die Politik. Zunächst engagierte sie sich bei der Jungen Union. „Ich war nie eine stille Persönlichkeit und wollte aktiv mitgestalten“, sagte Schwiete. Und bei den Christdemokraten habe man sie offen empfangen, Chancen geboten. Zur Wahrheit aber gehört: Frauen sind im Klever Stadtrat noch immer unterrepräsentiert. Der Anteil liegt bei knapp über 30 Prozent. Derzeit formieren sich die Parteien für die Kommunalwahl 2025, Schwiete ist bemüht, für die Wahlbezirke Frauen als Direktkandidatinnen zu gewinnen. „Es schaut gut aus“, sagte Schwiete, die in Emmerich im Jugendamt tätig ist.
Hedwig Meyer-Wilmes, Fraktionschefin der Grünen, sieht mächtig Luft nach oben, auch wenn die Tendenz stimmt. „Der Stadtrat ist weiblicher geworden, weil eine Fraktion die Liste konsequent paritätisch besetzt“, sagte Meyer-Wilmes mit Blick auf ihre eigene Partei. Es sei eine Herausforderung, Frauen zu werben. „Frauen sind für Kommunalwahlen nicht mit tollen Listenplätzen zu werben. Atmosphäre und Gestaltungsoptionen müssen stimmen“, sagte die feministische Theologin. Und: „Es macht einen Unterschied, ob Frau oder Mann Politik macht.“
Christin Becker fand erst recht spät in die Politik, 2022 war sie dann Landtagskandidatin der SPD im Nordkreis Kleve. „Menschen mit Hirn und Herz am rechten Fleck sollten in die Politik“, sagte Becker. Und ja, es sei dringend notwendig, mehr Frauen in Verantwortung zu bringen. Aber es gebe Hürden. Schließlich blieben Care-Arbeit und Kinderbetreuung noch immer in vielen Aufgabe der Frauen – und die Tagungszeiten der kommunalen Gremien (nicht selten geht es schon um 16 Uhr los) seien nicht gerade familienfreundlich.
Paula Backhaus, Grünen-Politikerin und stellvertretende Landrätin, warb für eine Quote. „Frauen bewerben sich nur, wenn sie ganz sicher wissen, dass sie es können“, sagte die Uedemerin. Bei Männern sei das nicht der Fall. Eine Quote sei dann nicht mehr notwendig, wenn eine schlechter qualifizierte Frau einem Mann vorgezogen würde – davon sei man weit entfernt. Zumal erst Stereotype durchbrochen werden müssten, Backhaus: „Care-Arbeit wird noch immer in erster Linie mit Frauen assoziiert.“
Yvonne Tertilte-Rübo, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Kleve, meinte: „Da, wo Politik stattfindet, braucht es Frauen.“ Sie sei drauf und dran, auch die Stadtverwaltung weiblicher aufzustellen – derzeit wird nur ein Fachbereich von einer Frau geführt. Aber: Bei gleicher Qualifikation bekommen Frauen die Stelle. Man sei im Rathaus bereits Schritte gegangen: Es gebe zig Teilzeit-Modelle, und das Thema New Work fülle man mit Leben. Bürgermeister Wolfgang Gebing, selbst Jurist, verwies auf die Justiz, in der Frauen zusehends in der Überzahl seien. Ein Grund: Staatsexamina werden anonym abgelegt, und Frauen liefern schlichtweg bessere Leistungen ab. Aber: In der Politik findet keine Bestenauslese statt, schon gar nicht anonym. Es geht um die persönliche Eignung – und die ist überaus subjektiv.
Es sei kaum verwunderlich, dass Männer sich im Zweifel für Männer entscheiden, wenn es um Posten geht. „Man nimmt, was man kennt“, sagte Meyer-Wilmes. Im nächsten Jahr soll politisch für sie Schluss sein. Aber Meyer-Wilmes geht mit Sorge. Sie meint: Laute, egomanische Männer geben im Ratssaal zusehends den Ton an – das schrecke viele Frauen ab. So warb Meyer-Wilmes engagiert für eine Quote, wie es sie bei den Grünen gibt. Die Liste wird abwechselnd mit Mann und Frau besetzt, wobei der Listenplatz eins fürs weibliche Geschlecht reserviert ist. Müssen Frauen sich vor dem Vorwurf fürchten, sie seien Quotenfrauen, die nur wegen ihres Geschlechts aufgestiegen sind? Mitnichten, meinte Meyer-Wilmes. „Es ist mir doch wurscht, ob ich Quotenfrau bin oder nicht.“ Wenn Frauen in Ämter gewählt werden, verändere sich die Kultur, zumal: „Frauen ziehen Frauen nach.“ Das sah auch Barbara Hendricks so. Die frühere Ministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit weiß aus eigener Erfahrung, wie wertvoll eine Quote sein kann: „Hätte es die Quote nicht gegeben, hätte ich meine Stärken nicht unter Beweis stellen können“, sagte die Sozialdemokratin. Und: „Wenn acht Männer nebeneinander stehen und über die Zukunft reden, müssen sie merken, dass etwas nicht stimmt.“