Zukunftswerkstatt

Was verschärfte Grenzkontrollen für den Kreis Kleve bedeuten

Wie viele Kontrollen verträgt das Grenzland? Bei der Zukunftswerkstatt von Rheinischer Post und Volksbank Kleverland diskutierten Experten über eine höhere Polizeipräsenz an der deutsch-niederländischen Grenze. Schadet sie gar den Beziehungen der beiden Länder?

Rheinische Post vom 02.11.2024

Schützen mit Zukunftssorgen
Teilnehmer der Zukunftswerkstatt An der Debatte nahmen Christoph Thyssen (Prokurist Volksbank Kleverland), Ludwig Krause (Leitender Regionalredakteur der Rheinischen Post), Unternehmer Ingo Marks, RP-Redakteur Maarten Oversteegen, Andreas Kochs (Geschäftsführer Euregio Rhein-Waal), CDU-Bundestagsabgeordneter Stefan Rouenhoff sowie der niederländische Honorarkonsul Freddy Heinzel teil. Foto: Markus van Offern

Von Maarten Oversteegen

Die deutsche Seite hat während der Fußball-Europameisterschaft auf verschärfte Grenzkontrollen gesetzt, und sie Mitte September erneut eingeführt. Die Niederländer ziehen nun nach: Ab November sollen Polizisten an der Grenze mehr Präsenz zeigen. Das wichtigste Ziel: illegale Migration eindämmen. Was bedeutet das für die Grenzregion – und sind Kontrollen im Interesse des Kreises Kleve? Darüber diskutierten Experten bei der Zukunftswerkstatt von Rheinische Post und Volksbank Kleverland.

Stefan Rouenhoff, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Kreis Kleve, mahnt seit Jahren, dass niederländische und deutsche Polizei enger zusammenarbeiten müssten, und zwar in einem Zentrum der internationalen Polizei- und Zollzusammenarbeit. Dort soll nach dem Prinzip der „zusammengeschobenen Schreibtische“ gearbeitet werden, sagte der Gocher. Doch im Bundesinnenministerium werde er nur vertröstet, Warnungen würden nicht gehört. „Das, was eigentlich verhindert werden sollte, passiert: Die organisierte Kriminalität schwappt nach Deutschland über“, sagte Rouenhoff. Er verwies auf die Mocro-Mafia. „Die Verteilungskämpfe haben längst begonnen.“

Die marokkanisch geprägten Banden hinterlassen eine Spur der Gewalt. In Düsseldorf und Köln kam es zu Explosionen, es gibt auch Berichte über Entführungen im Rheinland – die Polizei bringt mit all diesen Taten die Mocro-Mafia in Verbindung. „Wir haben es mit Strukturen zu tun, die bekämpft werden müssen. Sie unterwandern staatliche Strukturen“, sagte Rouenhoff. Während der EM habe sich gezeigt, dass Grenzkontrollen wirken könnten – es habe viele Aufgriffe gegeben, Haftbefehle wurden vollstreckt. „Ich will die Grenzen nicht dichtmachen. Aber wir müssen Sicherheit und Freizügigkeit in ein passendes Verhältnis rücken.“

Andreas Kochs, Geschäftsführer der Euregio Rhein-Waal mit Sitz in Kleve, hatte öffentlich Sorge geäußert, als Berlin ankündigte, die Bundespolizei ab Mitte September wieder verschärft kontrollieren lassen zu wollen. Zumal es während der EM immer wieder zu Staus gekommen sei. „Diese Sorge hat sich so nicht bewahrheitet“, sagte Kochs. Stationäre Kontrollen gebe es kaum, vielmehr seien mobile Einsatzkräfte unterwegs. Aber: „Grenzkontrollen sollten immer Ultima Ratio sein. Erst sollte es darum gehen, die Kooperation beider Länder zu verbessern“, sagte Kochs. Und Freddy Heinzel, niederländischer Honorarkonsul, verwies darauf, dass die deutsch-niederländische Grenze ohnehin nicht umfassend zu überwachen sei, weil es keine geografischen Hindernisse gebe: „Es ist faktisch unmöglich.“ Es sei jedoch wichtig, dass die Sicherheitsbehörden noch enger zusammenarbeiten.

Kochs erklärte, dass es nicht selten der Datenschutz sei, der die Zusammenarbeit erschwere. Rouenhoff: „Wir hinken meilenweit hinterher, in den Niederlanden ist viel mehr möglich.“ Und die Banden würden diese Schwachstellen ausnutzen, der CDU-Politiker sagte: „Wir werden systematisch hinters Licht geführt.“ Das offenbare sich beim Thema Leiharbeit, bei der Firmen gezielt gesetzliche Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden ausnutzen. Heinzel sprach von einem „substanziellen Ärgernis“, dass Regel- und Gesetzgebung stark voneinander abwichen. „Wir löschen alles sofort“, sagte Heinzel mit Blick auf Daten. Und: „Es gibt Kriminelle, die einen Sport daraus machen, Unterschiede und Lücken auszunutzen.“ Doch auch Rechtschaffene, etwa Unternehmer, müssten sich mit der Grenzsituation befassen: „Man läuft in ein offenes Messer nach dem anderen, wenn man sich keine Gedanken macht.“

Und wie steht es eigentlich um den deutsch-niederländischen Arbeitsmarkt? Kochs erklärte, dass es bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen des Nachbarlandes noch immer Luft nach oben gebe. Bemerkenswert: Es seien deutlich mehr Deutsche, die in die Niederlande pendeln, als andersherum. Heinzel riet indes davon ab, im großen Stil Fachkräfte aus den Niederlanden abzuwerben. „Gegenseitiges Baggern hilft nicht, auf beiden Seiten der Grenze herrscht Fachkräftemangel.“ Er erkennt: „Die grenzüberschreitende Arbeitsmigration geht dramatisch zurück.“ Schließlich sei der Markt arbeitnehmergesteuert, und viele scheuten die Fahrt über die Grenze. Hinzu komme, dass einige Berufe nicht kompatibel seien, etwa der des Steuerberaters – da seien die Systeme grundverschieden.

Einer, der auf Kundschaft aus den Niederlanden setzt, ist Ingo Marks. Der Klever führt 20 Geschäfte in der Region, in denen er Blumen, Dekoartikel, Spielwaren und, nicht zuletzt, Tabak anbietet. Zigaretten sind im Nachbarland aufgrund hoher Steuern horrend teuer geworden, so fahren viele Niederländer über die Grenze, um sich einzudecken. „Davon profitieren wir natürlich unheimlich“, sagte Marks. Dass die Grenzkontrollen verschärft wurden, merke man kaum. In der ersten Woche im September sei es etwas ruhiger gewesen, aber: „Jetzt ist wieder alles normal.“ In Kranenburg und Elten sorgten Niederländer für 75 Prozent des Umsatzes, in Kleve immerhin noch für 30 bis 40. Und Niederländer seien gute Kunden.

Auch die Banken in der Region mussten sich in den vergangenen Jahren mit der besonderen Situation in der Grenzregion befassen – schließlich wurden sie immer wieder Ziel von Automatensprengern, die mit gelben Kennzeichen vorfuhren. Die Volksbank Kleverland war nur einmal betroffen, in Xanten-Marienbaum – die Täter wurden gefasst. Prokurist Christoph Thyssen sagte: „Derzeit ist es in der Bankenlandschaft wesentlich ruhiger mit Sprengern.“ Die Gründe lägen auf der Hand: Automaten seien besser gesichert worden, und es gebe insgesamt weniger Anlaufstellen für Bargeld. „Da waren die Niederländer Vorreiter“, sagte Thyssen.

Ein Thema, das ebenfalls unmittelbar mit dem Grenzverkehr verbunden ist, ist die Migration – wenngleich die Herausforderungen etwa an der deutsch-österreichischen Grenze wesentlich größer sind. Rouenhoff sagte: „Wir dürfen das Thema nicht der AfD überlassen, es treibt viele Menschen um. Als Christdemokrat sage ich aber auch: Das Recht auf Asyl dürfen wir nicht in Frage stellen.“ Es sei wichtig, die Schutzbedürftigkeit zentral zu stellen – wer die nachweisen könne, habe einen Platz in Deutschland. Kochs warb dafür, Migration als Chance zu sehen, da hätten Europäer auch eine Verantwortung. Und Heinzel meinte: „Migration ist eine Kernfrage, an ihr kann Europa scheitern.“ Aber: Nordrhein-Westfalen und die Niederlande könne nichts auseinderbringen. „Es gibt eine irreversibel gute Freundschaft.“