Zukunftswerkstatt

Wenn Ehrenamt zum Ernstfall wird

Mit der aktuellen Situation der Vereine hat sich die jüngste Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post beschäftigt.

RP vom 24.09.2022

Wehn Ehrenamt zum Ernstfall wird | Die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt
Die Zukunftswerkstatt Ralf Benkel, Leiter der Feuerwehr Kleve. Wolfgang Gebing, Bürgermeister Kleve. Anja Gruben, 2. Vorsitzende der Kreis Klever Schützenvereinigung. Gudrun Hütten, Vorstandsmitglied der Lebenshilfe. Michael Rübo, Diakon, Klever Tafel und Vinzenzkonferenz. Christoph Thyssen, Volksbank Kleverland und Vorsitzender 1. FC Kleve

KLEVE | Mit dabei: Ralf Benkel, Chef der Klever Feuerwehr. Kurz zuvor dann aber der Alarm: Großbrand in Wardhausen, Benkel und seine Kameraden rücken aus. Das Feuer ist bald unter Kontrolle, niemand kommt kommt ernsthaft zu Schaden – und der Stadtbrandinspektor kann auch an der Diskussionsrunde teilnehmen. Dass die Arbeit der ehrenamtlichen Feuerwehrleute wertvoll ist, kann nicht oft genug betont werden. An diesem Abend wird das deutlich wie bei jedem Einsatz, zu dem die Freiwilligen ausrücken.

Eine Stadt ohne Ehrenamt? Das würde kaum funktionieren, sagt Kleves Bürgermeister Wolfgang Gebing. Das fange bei der Feuerwehr an, gehe beim Tiergarten weiter. Die Lebenshilfe ist ein Verein, der sich sich um Menschen mit Handycap kümmert, dann noch die vielen sozialen Einrichtungen von der Tafel über die Vinzenzkonferenz bis zur Begleitung von Menschen auf ihrem letzten Weg – ehrenamtlich versteht sich. Ganz zu schweigen vom großen Feld des Vereinssports, von den Schützen, den Karnevalsvereinen. Die Liste ist noch lange nicht vollständig. Gebing nennt das Beispiel Schenkenschanz: Der Ort hat knapp 100 Einwohner – aber die vielen Vereine haben mehrere hundert Mitglieder. Die meisten sind also gleich in mehreren Vereinen. „Ehrenamt so wichtig nie - und trotzdem in der Krise?“, titelte die Zukunftswerkstatt.

Die Feuerwehr in Kleve hat 500 Mitglieder, davon sind 300 im Einsatz. Der Musikzug hat 100 Musiker, 30 Jugendliche sind dabei. Zwölf der 15 Einheiten der Klever Wehr sind Löschzüge, die für die Sicherheit sorgen. Damit sie alle rechtzeitig vor Ort sein und ihre Aufgaben erfüllen können, baut die Stadt derzeit neue Gerätehäuser, schafft Fahrzeuge an, sorgt für eine moderne, neue Ausrüstung. Das fördert aber auch das Vereinsleben, das sehen die Männer und Frauen auch als Anerkennung, sagt Ralf Benkel. Nach der Einweihung des neuen Gerätehauses in Griethausen habe es gleich neue Anmeldungen gegeben. Um diese Gerätehäuser findet auch das Vereinsleben statt: „Das Zusammensein, der Grillabend, das Treffen – und das ist enorm wichtig“, sagt Benkel.

„Wir müssen uns etwas einfallen lassen, um die Leute nach dem Corona-Lockdown wieder zurück zu holen. Wir müssen die Jugendarbeit aktivieren“, sagt Anja Gruben von der Kreis Klever Schützenvereinigung. Da sei die Sorge in den 29 angeschlossenen Vereinen groß. Zu schaffen machen den Schützen die wachsenden Auflagen und Anforderungen: Eine Schießleiterausbildung dauert deutlich länger und will bezahlt sein – hier stoßen die Vereine auch an Grenzen. Dennoch: Ist man einmal im Vereinsleben eingebunden, mache das trotz alledem ungemein Freude, sagt Gruben. Sie ist nicht nur 2. Vorsitzende der Kreis Klever Schützenvereinigung, sondern unter anderem auch Mitglied der Feuerwehr, Schießmeisterin bei den Schützen in Altkalkar und amtierende Königin. In der Vereinsarbeit lerne man Super-Teams kennen, mit denen man prächtig und gerne zusammenarbeitet, sagt sie. Und ihre Kinder habe sie bereits angesteckt.

Christoph Thyssen ist nicht nur Bereichsleiter Gesamtbanksteuerung bei der Volksbank Kleverland, die jedes Jahr aufs Neue Vereine in der Region unterstützt. Er ist auch Vorsitzender des 1. FC Kleve. Mitgliederschwund habe man bei den Rot-Blauen nach Corona nicht festgestellt, sagt er. Die Kids und Jugendlichen, die Erwachsenen und alten Herren waren wieder da, hatten die Corona-Zeit mit Trainings in kleinem Rahmen oder Video-Übungen überbrückt. Er weiß aber auch, dass das Wohl und Wehe des Vereins mit seinen 300 aktiven Mitgliedern und 15 Mannschaften an den handelenden Ehrenamtlern hängt: an den Betreuern, den Trainern. Aber heutzutage werden die Kinder nicht einfach beim Trainer in Obhut gegeben – damit sind auch immer mehr Erwartungen verknüpft. Auf der anderen Seite müssen Trainer Ausbildungen machen, der Verein muss einen Hygienebeauftragten haben und vieles mehr. Thyssen sieht für den Sport noch ein großes Problem: Allein auf den 1. FC Kleve kommen bis zu 14.000 Euro plus an Energiekosten zu. Das kann sicher der Verein kaum von den Mitgliedern holen. Was tun? Hier möchte die Stadt mit den neuen Sportzentren, die jetzt in Bau sind, helfen, sagt Bürgermeister Gebing. So seien die Vereine nicht mehr für den Unterhalt der Sportstätten und Gebäude zuständig.

Der soziale Bereich sei durch die Pandemie eher gestärkt worden, sagt Michael Rübo. Der Diakon, unter anderem Vorsitzender der Klever Tafel und der Vinzenzkonferenz, gilt als das soziale Gewissen in der Stadt. Und das ist auch anerkannt: „Wenn wir Probleme haben, finden wir schnell Unterstützer“, sagt er. Also Menschen, die spenden. Rübo und seine vielen Helfer haben sich auf die veränderten Lebensbedingungen von Menschen, die helfen möchten, eingestellt: „Wir fragen nicht, kannst du an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten – wir fragen: Wie viele Stunden kannst du in der Woche helfen“, sagt Rübo. Und da gebe es viele Bürger in der Stadt, die gerne ihre Zeit zur Verfügung stellen. Am Beispiel von Kolping zeigt er auch auf, dass man sich im Verein im Blick haben kann: „In Corona-Zeiten haben wir gespürt, wie wertvoll ein Verein und das Miteinander ist“, sagt er. Rund 250 Haushalte kommen regelmäßig zur Tafel – die habe man dort wiederum im Blick. Zudem könne ein Verein ehrenamtlich in kürzester Zeit Dinge organisieren und umsetzen, die eine Kommune so nicht stemmen könnte. Wie beispielsweise die Essenstüten in Lockdwon-Zeiten zu den Häusern zu bringen. Zwar seien manchen Helfer auch altersbedingt weggebrochen in dieser Zeit, dafür seien andere eingesprungen. In Zeiten der Krise sieht Rübo aber auch, dass finanzielle Hilfen immer dringlicher werden. Und setzt auf die guten Erfahrungen der Spendenbereitschaft in der Klever Bürgerschaft. Er habe sehr große Freude am Ehrenamt: „Das tut einem persönlich gut“, wirbt er. Und als Lohn treffe man immer wieder auf eine große Dankbarkeit der Menschen.

Gudrun Hütten ist die Vorsitzende der Lebenshilfe in Kleve. Ein Verein, der sich vor einem halben Jahrhundert aus der Elternschaft gegründet hat, um behinderten Menschen zu helfen. Es sind Bürger, die ihr Herzblut eingebracht haben und inzwischen die Hilfe auch auf professionelle Füße gestellt haben – in der Organisationsstruktur eines Vereins. Das mache zwar Arbeit, zeige aber auf der anderen Seite auch, wie viele sich da einbringen, mit viel Empathie. Und für den, der ehrenamtlich arbeitet, stehe da die Anerkennung und die Erkenntnis, dass man etwas tun kann.

Schleppend läuft die ebenfalls als Anerkennung gedachte Ehrenamtskarte: 24 Bewerber haben sich bis jetzt gemeldet. Was letztlich zählt, ist die Wertschätzung, die die Gesellschaft dem Ehrenamt entgegenbringt.