Zukunftswerkstatt

Wo sind sie denn alle hin?

Selbst Traditionsbetriebe in Kleve suchen händeringend Fachkräfte. Die Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post fragte: Wo sind sie denn alle? Und welche
Lösungen kann es für das Problem geben? Vor allem in der Gastronomie sind die Personalengpässe deutlich zu spüren. Aber nicht nur dort.

VON MATTHIAS GRASS

Wo sind denn alle hin?
Teilnehmer|innen Wolfgang Gebing (Bürgermeister Kleve), Barbara Ossyra (Agentur für Arbeit Wesel), Karim Peters (Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten Kreis Kleve), Lothar Quartier (Metzgerei Quartier), Thorben Schröder (Dehoga Kreis Kleve), Andreas Schulz (Turmgarage Kleve), Ludwig Krause (Rheinische Post), Frank Ruffing (Volksbank Kleverland).

KLEVE | Traditionsbetriebe in Kleve müssen Filialen zeitweise schließen, weil die Fachverkäufer fehlen, so manche Backstube bliebe kalt, wenn es keine Zuwanderung geben würde. Dieser Trend wurde durch Corona extrem beschleunigt: Mitarbeiter in der Gastronomie fielen durch das Kurzarbeitergeld auf die Grundsicherung zurück, das Trinkgeld blieb weg. Also mussten sich die Männer und Frauen andere Jobs suchen:
„Sie finden diese jetzt im Lebensmittelhandel, im Einzelhandel und bei der Post. Hinzu kommen über 50 Prozent Mini-Jobber, die sich ebenfalls neue Jobs suchen mussten“, sagtKarim Peters, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten.

Die Mini-Jobber, auch die Schüler und Studenten, erklärt Barbara Ossyra, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit, haben andere Jobs gefunden – nicht zuletzt in den Testzentren und in anderen Bereichen des Gesundheitswesens und der Pflege. Zum Thema „Wo sind sie denn? Wenn selbst Traditionsbetriebe mit Mitarbeitermangel kämpfen“ diskutierte die Zukunftswerkstatt von Rheinische Post und Volksbank Kleverland unter Leitung von RP Redaktionsleiter Ludwig Krause mit Vertretern des Handwerks, der Gastronomie, der Gewerkschaft und des öffentlichen Dienstes zum Fachkräftemangel.

Das Problem habe viele Gründe, so Peters. Daran seien auch die Betriebe selber schuld: So habe man in der Gastronomie auf Mini-Jobber gesetzt und die Ausbildung vernachlässigt. „Wir sind da noch nicht auf dem Höhepunkt angekommen“, mahnt Peters. Der schlechte Ruf sei jetzt da, nach all den Jahren schlechter Bezahlung und Mini-Jobs ohne Ausbildung. Inzwischen habe man aber mit dem Deutschen Hotel und
Gaststättenverband (DEHOGA) einen neuen Tarif-Vertrag abgeschlossen und eine bessere Ausbildungsvergütung vereinbaren können.

„Der Fachkräftemangel ist da – ohne Zuwanderung lässt sich das auch nicht mehr auffangen“, sagt Thorben Schröder, Vorsitzender des DEHOGA im Kreis Kleve. In seinem eigenen Betrieb Westrich habe er auf Ausbildung und eine starke Bindung zum Haus gesetzt. Als Verband sei man inzwischen mit Arbeitskräften von den Philippinen, aus Mexiko und Albanien in Verhandlung, um sie nach Deutschland zu holen. Das bestätigte auch Ossyra: Die Agentur für Arbeit sei mit Arbeitsverwaltungen anderer Nationen in Verhandlungen. Zuvor hatte Frank Ruffng, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Kleverland, in die Runde erklärt, dass es in Spanien oder Portugal gut ausgebildete Kräfte gebe, die arbeitslos seien. Das Problem: Viele blieben nicht, hätten große Probleme mit der deutschen Sprache, die aber unerlässlich sei, so Ossyra.

Lothar Quartier, Geschäftsführer der Metzgerei Quartier, warb für ein besseres Image für das Handwerk an sich. „Das sind gute Berufe mit Zukunft, das sind Berufe, die Freude machen, wo man im Verkauf mit Menschen zu tun hat“, sagte er. Und die - in seinem Fall - mit der Scheibe Fleischwurst für den Kleinen auf Papas oder Mamas Arm schon früh für ihr Gewerbe werben können. Leider sei der Beruf des Bäckers
oder des Fleischers derzeit wohl nicht „sexy“ genug. Er hat zusammen mit seinem Sohn in den vergangenen Jahren „Quartier“ zu einer eigenen Marke gemacht. Eine Marke, die für gute Arbeit und für Regionalität stehe.Denn nicht nur die Leidenschaft für den Beruf sei wichtig - vor allem auch das Produkt brauche wieder die richtige Wertschätzung. Es gehe doch um einen schönen Beruf, der Berufung sei, der in der Praxis jeden Tag das Erlebnis biete, die Ergebnisse der eigenen Arbeit zu sehen und an die Kunden weiterzugeben. Diese Arbeit aber habe eben auch ihren
Wert, sagt Quartier mit Blick auf Billigfleisch: Er achte sehr genau darauf, wo er schlachten lasse.

„Was gibt es Schöneres, als aus Zutaten ein gutes Essen zu machen“, sagt Andreas Schulz. Schulz, der auch gelernter Koch ist und als solcher gearbeitet hat, ist jetzt Geschäftsführer der Turmgarage. Er erinnert daran, dass er zu seiner Zeit einer unter ganz Vielen der Babyboomer-Generation war und nur als irgendeine Arbeitskraft gegolten habe, die man schnell habe austauschen können. „Das hat auch zum schlechten Ruf des Gewerbes beigetragen“, sagt er. Heute würde er in der Küche bleiben. Dabei hat er aus Sicht vieler einen Traumjob: Schulz restauriert Oldtimer, hauptsächlich Porsche. Er selbst fährt einen Käfer - aus Tradition, sagt er. Aber auch in diesem Traumberuf fehlen Fachkräfte. Auch, weil die von den Kammern organisierte Ausbildung falsche Schwerpunkte setze. Ossyra sagte, dass die Zeiten nicht wertgeschätzter Arbeit vorbei seien: „Der Arbeitsmarkt ist heute Arbeitnehmergetrieben“, sagt sie.

Wolfgang Gebing, Bürgermeister der Stadt Kleve, kann seine ausgeschriebenen Stellen noch besetzen - auch wenn die Zahl der Bewerber deutlich geringer wird. Er habe aber zudem den Vorteil, dass das Jobcenter in seinem Hause sitze und die Stadt hier Menschen wieder in den ersten Arbeitsmarkt bringen könne, sagt er. Dann auch als eigene Mitarbeiter.