Zukunftswerkstatt

Wohin steuert der Kreis Kleve?

Die Herausforderungen in den kommenden Jahren sind groß: Fachkräfte sind Mangelware, die ärztliche Versorgung wird immer schwieriger, Flächen für neue Unternehmen fehlen. Warum es trotzdem auch Grund zur Hoffnung gibt.

RP vom 27.05.2023

Wohin steuert der Kreis Kleve?  | Die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt
Teilnehmer der Zukunftswerkstatt: Günther Bergmann, Klaus Keysers, Julia Nepicks, Christoph Gerwers, Matthias Grass, Christoph Thyssen, Ludwig Krause, Brigitte Jansen (v.l.).

VON MATTHIAS GRASS

KREIS KLEVE | Corona-Krise, Ukraine-Krise, Fachkräftemangel: Das alles geht nicht spurlos an der Wirtschaft im Kreis Kleve vorbei. Das stellt auch Christoph Thyssen von der Volksbank Kleverland fest, wenn er die Herausforderungen der Kunden des Geldhauses in den vergangenen Jahren Revue passieren lässt. Und auf die Wirtschaft kommen weitere Herausforderungen zu: 70.000 Arbeitskräfte werden allein am Niederrhein in den kommenden Jahren fehlen, sagen Zahlen der Industrie- und Handelskammer Duisburg-Wesel-Kleve. Und das ist nur eine von mehreren drängenden Fragen, die den Kreis Kleve in den kommenden Jahren beschäftigen werden.

Deshalb schaute die Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinische Post nach vorne: „Wohin steuert der Kreis Kleve – Chancen und Herausforderungen“ war das Thema. Es diskutierten Christoph Gerwers, Landrat des Kreises Kleve, Brigitte Jansen, Geschäftsführerin der Wirtschaftsförderung Kreis Kleve, Klaus Keysers, Erster Beigeordneter und Kämmerer der Stadt Kleve, der Landtagsabgeordnete und CDU-Kreisvorsitzende Günther Bergmann auch sowie Julia Nepicks, Regionalleiterin bei der niederrheinischen IHK Duisburg-Wesel-Kleve.

Der Fachkräftemangel wird die Region in den kommenden Jahren hart treffen –zumal es gerade für die ländlichen Kreise wie Kleve immer schwerer wird, qualifizierte Fachkräfte aus den Großstädten in die Provinz zu locken. Früher funktionierte das mit günstigem Baugrund, der hohen Lebensqualität und gut ausgestatteten Schulen – darauf hob auch Landtagsabgeordneter Günther Bergmann ab. Das seien weiter die Pfunde, mit denen man wuchern müsse. Doch auch hier hat sich die Situation geändert: Es fehlt in vielen Kommunen des Kreises Kleve der begehrte Grund fürs Haus, es fehlt an Flächen für Gewerbe, es fehlen Wohnungen. Trotz alledem: der Kreis Kleve ist weiter Wachstumsregion – die Nähe zu den Metropolregionen Ruhrgebiet diesseits der Grenze und der Region Arnheim-Nimwegen jenseits der Grenze sowie nicht zuletzt die Ansiedlung der Hochschule Rhein-Waal in der Kreisstadt machen den Kreis weiter attraktiv.

Nepicks warnte davor, dass die Region nicht zur „Schlafstadt“ für die Metropolregionen werden dürfe. Mit Brigitte Jansen war sie sich einig, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung neuen Gewerbegebieten gegenüber verbessert werden müsse. Es seien die Bereiche, die Arbeit und Wohlstand brächten, so Jansen und Nepicks. Gerwers sieht hier die Kommunen in der Pficht – weiß aber auch, dass die Aufstellung neuer Pläne sehr zeitintensiv ist. Er rät deshalb, noch mehr auf den virtuellen Gewerbeflächenpool zurückzugreifen und mehr regional als kommunal zu denken: „Wir werden mit Blick vor allem auch auf kleinere Kommunen noch stärker interkommunal zusammenarbeiten müssen“, sagte der Landrat.

Keysers nahm den Ball auf: Kleve habe noch kleinere Flächen, aber ab 10.000 Quadratmeter werde es schwierig. „Wir versuchen weiter, Flächen auch für Gewerbe zu entwickeln“, so Keysers. Das Problem sei allerdings, „dass die Zeitschiene, Flächen baureif zu machen, sehr hoch ist“, so Keysers. Aber man lege in Kleve auch großen Wert auf die Pfege der angesiedelten Firmen, auf Besucher der Wirtschaftsförderin und des Bürgermeisters, auf kurze Wege. „Daran wollen wir arbeiten“, so Keysers. Jansen bestätigte das. Sie habe aus diesen Kontakten die Erfahrung mitgebracht, dass die Betriebe hier gut aufgestellt sind – und die Nähe zu den Institutionen schätzen.

Arbeiten wollen Kleve und der Kreis auch am Wohnraum. Es gelte, in Kleve 3000 Wohnungen in den nächsten Jahren zu schaffen, um der Nachfrage Herr zu werden, so Keysers. Gebiete würden entsprechend entwickelt. Bergmann sieht vor allem bei der Lebensqualität Gründe, in den Kreis Kleve zu ziehen: „Wir haben die Baugebiete aus den 1950er und 1960er Jahren, die künftig den Raum für Neues bieten“, sagte er.

Beim Zuzug ausländischer Arbeitskräfte rät er zur Differenzierung: „Die meisten Ausländer im Kreis Kleve sind Niederländer“, sagt er. Aber es gebe auch sehr viele Arbeitskräfte aus Osteuropa, die die Landwirtschaft brauche und die seit Jahren saisonal in den Westen kommen. Langfristig benötige Deutschland ein Zuwanderungskonzept, das gezielt Fachkräfte und Arbeitskräfte ins Land lasse. Ein ganz anderes Problem sei der Umgang mit Leiharbeitern, die im Kreis Kleve wohnen, im Ausland arbeiten und deren Situation an moderne Sklaverei erinnere.

Aber es fehlen auch sehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte – Ärzte zum Beispiel –und das nicht erst in jüngster Zeit. Problematisch sei, so Bergmann, dass viele Ärzte vor dem Ruhestand stünden und die Tradition, dass sich Krankenhausärzte nach gewisser Zeit niederlassen, abgerissen sei. „Ärzte wollen heute nicht mehr den 24/7-Job“, so der Landtagsabgeordnete. Gerwers und Bergmann waren sich einig, dass der Kreis und die Kommunen langfristig nicht an Versorgungszentren mit angestellten Ärzten vorbeikommen. Man sei, so Gerwers, inzwischen auch mit der Kassenärztlichen Vereinigung auf einem guten Weg. Investitionsangebote stünden ebenfalls im Raum – und bereits bestehende Schnupperangebote würden gut angenommen. Letztlich, so Bergmann, müssten mehr Ärzte ausgebildet werden. Aber ehe die in den Regionen ankommen, ziehe viele Jahre ins Land. Aber man könne schon jetzt für bessere, attraktive Rahmenbedingungensorgen – und das nicht nur für Ärzte. Zum Beispiel mit einer guten Kita-Betreuung und guten Schulen.

Fachkräftemangel, Gesundheitsversorgung, demografischer Wandel: Trotz aller Herausforderungen blickt Julia Nepicks, die selbst erst seit April neue IHK Regionalleiterin ist, selbstbewusst in die Zukunft. In Kontakt mit den Unternehmen, mit der Hochschule und Vertretern der Gesellschaft im Kreis Kleve stellt sie fest: „Die Lust auf Zukunft ist da.“

INFO

Die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt

Zukunftswerkstatt „Wohin steuert der Kreis Kleve – Chancen und Herausforderungen“ lautete das Thema.

Teilnehmer Es diskutierten unter der Moderation von Ludwig Krause, Rheinische Post, Landtagsmitglied Günther Bergmann (CDU), Landrat Christoph Gerwers, WfG-Geschäftsführerin Brigitte Jansen, Kämmerer Klaus Keysers, Christoph Thyssen,Volksbank Kleverland, und IHK-Regionalleiterin Julia Nepicks.