„Wird Nachhaltigkeit die große Zukunftsfrage?“

Wird Nachhaltigkeit die große Zukunftsfrage? Bei der Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post wurde deutlich: Der Wandel betrifft viele Bereiche der Gesellschaft grundlegend.

Von Matthias Grass

Zukunftswerkstatt
Die Teilnehmer am Baumhaus in Moyland. Untere Reihe: Thomas Kolaric, Matthias Grass, Frank Ruffing, Blanca Paschen, Lukas Verlage, obere Reihe: Christiane Behrens, Axel Schroff, Ludwig Krause (jeweils von links).

KREIS KLEVE | Jute statt Plastik oder doch Plastik statt Jute - dann aber als wertige Mehrweg-Produktion in bestenfalls jahrelanger Nutzung. Statt der einmal genutzten Papiertüte besser die Tupper-Packung. Regionalität vor Bio – weil Bio aus Übersee auch irgendwie keinen Sinn mehr macht? Nachhaltigkeit ist ein weites Feld. Das zeigte auch wieder die Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post, auf der Vertreter von Handel und Wirtschaft, Gaststättengewerbe und Gründer zum Thema „Umwelt, Wirtschaft, Leben: Wird Nachhaltigkeit die große Zukunftsfrage?“ diskutierten. Weil der Begriff „Nachhaltigkeit“ ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammt – man solle nicht mehr Bäume fällen, als nachwachsen – begrüßte Frank Ruffing, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Kleverland, die Gäste beim neuen Baumhaus in Moyland.

Nachhaltigkeit ist die Zukunftsfrage, so viel sei als Quintessenz vorweggenommen. Und das nicht erst seit Greta Thunberg. Aber künftig hoffentlich mit mehr Mut und Entschlossenheit, den hatte nämlich Thomas Kolaric, Geschäftsführer Dehoga Niederrhein, bei Bundes- und Landesregierung in der Corona-Zeit vermisst. Er glaube nicht einmal, dass die Politik aus der Pandemie gelernt habe.

Irgendwie hört Nachhaltigkeit beim Müll auf. Und der nimmt zu - was tun? Es gab mehr Verpackungsmüll, mehr Grünschnitt, mehr Elektroschrott in der Pandemie-Zeit, bestätigt Rolf Janssen, Geschäftsführer der Kreis Kleve Abfallwirtschaftsgesellschaft mbH. Sein Weg zur Nachhaltigkeit baut vor allem auf Aufklärung. „Das Ziel ist Müllvermeidung“, sagt er. Dafür gehen seine Mitarbeiter in Schulen, machen Abfallberatung für Haushalte, für Gewerbetreibende. Wenn er hingegen an eine weitere Vermarktung der noch „lebenden“ Elektroteile denke, ein Toaster, der funktioniere, ein Laptop, das noch läuft, um diese vielleicht als Spende an bedürftige Schüler zu geben, dann scheitere dies am Vorschriftendschungel und sei kaum umsetzbar, sagt der Geschäftsführer der Kreis Klever Abfallwirtschaftsgesellschaft .

Der Vorschriftendschungel sei ein Problem, sagt Lukas Verlage, Geschäftsführer von Colt International – und führt gleich die Absurdität vor: Da werde auch im Gewerbebau der FugendurchlassKoeffizient der Glasscheibe haargenau berechnet. Und dann öffne sich das Rolltor, damit der Lkw einfahren kann. Für den Klever Colt-Chef ist Nachhaltigkeit übrigens seit Jahren Thema: 2013 entwickelte Colt die erste Algenfassade weltweit. „Wir wollten den Beweis antreten, dass man eine Fassade entwickeln kann, die auch die Energie für das Haus liefert.“ Errichtet wurde das Colt-Gebäude auf der Bauausstellung in Hamburg-Wilhelmsburg, seit sieben Jahren läuft die Anlage. Hauptsächlich befasse man sich aber damit, wie Gebäude be- und entlüftet werden, die richtige Temperatur am richtigen Ort bei der passenden Luftfeuchtigkeit haben, erklärt Verlage.

Eine Be- und Entlüftungsanlage brauchen auch hochgedämmte Häuser, wie sie Christiane Behrens, Geschäftsführerin von Reppco Architekten, vornehmlich als Passivhaus plant. Für sie heißt Nachhaltigkeit einerseits hoch dämmen, Fotovoltaik aufs Dach und so den Strom zur Wärmepumpe in großen Teilen selbst erzeugen. Dazu: „Wir müssen lernen in Baugruppen zu arbeiten: Mit einer Heizungsanlage ein Dutzend Häuser versorgen und die Synergien nutzen“, sagt sie. Auch Fernwärme sei ein Thema.

Für Axel Schroff, Geschäftsführer des Edeka-Cen­ters im EOC ist Nachhaltigkeit auch schon seit Jahren Thema, wie er berichtet: Von der Vermeidung von Plastik bis hin zur großen Unverpackt-Wand. Er habe Jute-Säckchen herstellen lassen, Klappkörbe, versucht ein Pfandsystem aufzubauen. Seine Erkenntnis: „Immer mehr Menschen setzen sich mit dem System auseinander, sind bewusster, versuchen Müll zu vermeiden“, sagt er. Trotzdem seien Plastiktüten noch da – aber das sei vertretbar, wenn sie mehrfach genutzt würden. Dafür habe man Wege gefunden, altes Brot und Gemüse für Tiere zu verwerten, gebe Lebensmittel kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum an Tafeln. Hier sei langfristig ein Umdenkungsprozess notwendig: Einerseits beim Verbraucher, bewusster einzukaufen und an die mitgebrachte Verpackung zu denken, andererseits aber auch beim Gesetzgeber, um der Lebensmittelverschwendung entgegenzuwirken. Ganz oben stehe für ihn die Betonung der Regionalität, der Rückgriff auf regionale Ressourcen. „Wir müssen alle umdenken“, sagt er.

Für die in Pandemie-Zeiten besonders arg gebeutelte Hotel- und Gastro-Branche sprach Thomas Kolaric, Dehoga Niederrhein. Man werde sehen, ob und wie sich Messe- und Kongress-Zen­tren nach Corona erholen würden. Längst haben Mitglieder seines Verbandes Strohhalme, Wegwerfbecher und Bestecke aus Kunststoff hinter sich gelassen. Ob sich allerdings die von Schroff vorhergesagte Verwendung von regionalen Erzeugnissen auch in der Gastronomie durchsetzen werden, das werde sich erst noch zeigen müssen – das sei schließlich ebenfalls Angebot und Nachfrage.

Letztlich bedarf es Ideen. Auch Ideen junger Start-ups. So wie die von Blanca Paschen mit dem in Gründung befindlichen Founder Ways4Wa­ter: Ihre kleinen schwimmenden Gärten könnten den Kermisdal von der Algenpest befreien. „Wir arbeiten daran, Gewässer biologisch besser zu machen“, sagt Paschen. Zusätzlich setzt sie Sensoren ein, die ermitteln, wo Zuläufe sind, wie die Temperatur ist, die Belastung des Gewässers. Sicher brauche es gerade jetzt junge Start­ups, doch der Fortschritt dürfe nicht allein auf ihren Schultern ruhen. „Wir brauchen auch den Rat, die Erfahrung und Unterstützung großer Unternehmen“.