Mit Hilfe zur Selbsthilfe fing alles an

VON MATTHIAS GRASS

RP-Serie: Die Genossenschaften im Kleverland: Der Pfälzer Friedrich-Wilhelm Raiffeisen goss in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Prinzip in feste Formen. Im Kreis Kleve fand 1895 die erste Gründung in Hasselt statt.

Mit Hilfe zur Selbsthilfe fing alles an
Friedrich-Wilhelm Raiffeisen – der Erfinder der Idee. Foto: privat

KLEVER LAND Der Name klingt angestaubt, das Prinzip ist hochmodern: Viele schließen sich zusammen zu einer Gruppe, die das stemmen kann, was alleine nicht zu schaffen ist. Genossenschaftsmodell ist der nur scheinbar altmodische Name eines Prinzips, das immer noch funktioniert und an dem sich selbst die Crowdfunder der Generation Digital-Natives orientieren. In Genossenschaften wird Wissen geteilt, Zusammenarbeit gefördert sowie durch Kooperation Marktchancen verbessert, lautet das Prinzip.

„Ein weiterer Aspekt: Mitglieder von Genossenschaften haben jeweils eine Stimmen. Somit erwerben kapitalstarke Investoren kein höheres Stimmrecht als kapitalschwache.
Genossenschaften sind nicht kapitalgebunden, sondern personengebunden“, sagt Heike Liebeton, Abteilungsleiterin Öffentlichkeitsarbeit der Volksbank Kleverland. Liebeton ist ebenfalls Teilhaberin, nämlich die ihrer Bank, in der sie arbeitet: Die Volksbank Kleverland ist eine Genossenschaftsbank, an der jeder Bürger Anteile erwerben kann und damit Mitglied oder Teilhaber wird.

Und jeder hat eine Stimme – egal, ob sein Anteil 50 Euro oder ein Vielfaches davon beträgt. Das ist eine der wesentlichen Grundlagen der Genossenschaften. Heute werden nach diesem alten Prinzip beispielsweise in Energiegenossenschaften Windkraftwerke finanziert und betrieben, es gibt Handwerkerverbünde, die als Waren-Genossenschaften auftreten und so bessere Preise erzielen können, oder die Dorfgemeinschaft, die einen Laden organisiert, damit die Nahversorgung in dem  Ort wieder gesichert ist. Wie das Hanselädchen in Grieth.

Das Prinzip der Genossenschaft ist noch älter als der Name Raiffeisen, den noch heute Märkte und Banken tragen. Doch erst der Pfälzer Friedrich-Wilhelm Raiffeisen goss in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Genossenschaftsprinzip in feste Formen. Dabei hatte Raiffeisen, wie sein Mitstreiter Herman Schulze-Delitsch aus dem Osten des Reiches, immer auch den sozialen Gedanken vor Augen: Es galt, Menschen über Hilfe zur Selbsthilfe ein Einkommen zu verschaffen, sie vor Wucherern zu schützen und ihnen eine langfristige Perspektive zu geben.

Denn zwar hatte die so genannte Stein-Hardenbergsche Reformen Anfangs des 19. Jahrhunderts die Bauern vergleichsweise befreit, sie wie große Teile der armen Bevölkerung aber weder auf die Wirtschaftsführung noch auf den Übergang von der Natural- zur Geldwirtschaft vorbereitet. Viele waren vom Ruin bedroht. Raiffeisen griff ein, zunächst caritativ, später mit der Gründung der Kreditgenossenschaften, die die Landwirte vor dem völligenRuin bewahren sollten. Das brachte ihm den Titel „Sozialreformer“ ein. „Heute sind in über 100 Ländern der Erde mehr als 800 Millionen Menschen in rund 900.000 Genossenschaften organisiert“, sagt Liebeton.

Raiffeisen war kirchlich geprägt. Im „Hungerwinter“ 1846/47 gründete er den „Verein für Selbstbeschaffung von Brot und Früchten“ – mit dem Geld privater Spender kaufte er Mehl und ließ in einem selbst errichteten Backhaus Brot backen. Hilfe zu Selbsthilfe, zu der Viele das Kapital beisteuerten, das ein einzelner nicht hatte. Seine Idee vom Wohltätigkeitsverein, der sich 1864 zum ersten Darlehnskassenverein entwickelte , sprach sich rum im jungen Kaiserreich und erreichte 1895 den Niederrhein.

Es waren 23 Männer aus Hasselt, die am 25. Oktober 1895 den ersten Spar- und Darlehenskassenverein gründeten. Es folgten wenige Wochen später Neugründungen in Keeken und Griethausen. Vorbild: Friedrich Wilhelm Raiffeisen. An die 1897 in Warbeyen gegründete Spar- und Darlehenskasse war ein Warengeschäft angeschlossen, das die landwirtschaftlichen Höfe der Umgebung versorgte und die auf ihnen arbeitende Bevölkerung, erklärt Liebeton. Im Mai 1905 wurde die „Materborner Spar- und Darlehns-Kassen-Vereins-Genossenschaft“ beim Königlich Preußischen Amtsgericht zu Cleve ins Genossenschaftsregister eingetragen. Schon damals spekulierte man über Zusammenschlüsse mit anderen Genossenschaften, erzählt die Volksbänkerin.

Die RP stellt ab heute in loser Reihe verschiedene genossenschaftliche Organisationen vor.

Mit Hilfe zur Selbsthilfe fing alles an
Der Raiffeisenmarkt in Louisendorf trägt heute noch den Namen des Sozialreformers. RP-Foto: Klaus-Dieter Stade