Kleve · Bei der Zukunftswerkstatt diskutierten Experten über das Sicherheitsgefühl in der Kreisstadt. Und es liegen konkrete Ideen auf dem Tisch: Ordnungspartnerschaften, Videoüberwachung oder Waffenverbotszonen. Im Fokus der Debatte stand der Drogencontainer am Bahnhof.
So steht es um die Sicherheitslage in Kleve
Die Landesgartenschau wird das Gesicht der Klever City verändern
„Unser Ziel ist es, nervig zu sein“
Rheinische Post vom 01.02.2025

Von Maarten Oversteegen
Sicherheit ist eine Frage der Perspektive, des subjektiven Empfindens. Männer sind meist weniger ängstlich als Frauen, Ältere vorsichtiger als Jüngere. Wer Großstadt-Erfahrung gesammelt hat, ist wohl ein Stück weit abgehärtet. Auf die Frage, wie sicher Kleve ist, gab es daher bei der Zukunftswerkstatt von Volksbank Kleverland und Rheinischer Post ganz unterschiedliche Antworten. Bürgermeister Wolfgang Gebing (CDU) meinte: „Kleve ist so sicher, wie eine Stadt mit 50.000 Einwohnern eben sicher ist.“
Volksbank-Vorstand Severin-Peter Seidel hält Kleve für deutlich harmloser als seine Heimat Erfurt, Dirk Stein von Sicherheitstechnik Tripp zog einen ähnlichen Vergleich mit Wuppertal. Ordnungsamtschef Christian Seißer wiederum meinte, dass sich die Lage in Kleve verändert habe, die Stadt sei aber noch immer sicher. Und Yvonne Tertilte-Rübo, Gleichstellungsbeauftragte im Rathaus, mahnte: Es gebe Angsträume in der Kreisstadt, etwa den Park an der Lindenallee.
Sicherheitsdefizite, da waren sich die Experten bei der Diskussion unter dem Titel „Sicherheit in Kleve – was tun gegen zunehmende Gewalt?“ einig, gibt es am Klever Bahnhof. Der Drogencontainer ist der Stadtverwaltung seit Jahren ein Dorn im Auge, nur ist kein neuer Standort in Sicht. „Die Kriminalität dort hat zugenommen, es wird gedealt, und seit zwei Jahren kommt es auch vermehrt zu Schlägereien“, sagte Gebing. Der Unterstand – der Container ist nach einem Brand im Dezember geschlossen, die Szene hat sich aber mit Planen einen Verschlag eingerichtet – ziehe auch viele Menschen von auswärts an. „Der Drogencontainer wirkt ein Stück weit wie ein Magnet“, sagte der Verwaltungschef. Es ist nämlich ein offenes Geheimnis, dass man am Bahnhof leicht an berauschende Mittel kommt. Zudem sind in der Kreisstadt Ärzte tätig, die Methadonprogramme anbieten, es gibt darüber hinaus ein Netzwerk von Hilfsangeboten, für das etwa die Klosterpforte oder die Caritas sorgen.
Fachbereichsleiter Christian Seißer erklärte, dass der Ordnungs- und Servicedienst (OSD) viel im Stadtgebiet unterwegs sei. „Unser Ziel ist es, nervig zu sein.“ In Parks und auf Spielplätzen zeige man Präsenz, zudem im Umfeld des Drogencontainers. Dort sorge man für Ordnung, schaffe Müll und Spritzen weg. „Strafsachen sind dann Sache der Polizei“, sagte Seißer. Und er mahnte: „Die Situation am Drogencontainer ist auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft.“ Der Verwaltungschef warb dafür, dass es in Zukunft wieder vermehrt zu Ordnungspartnerschaften mit der Polizei kommt.
Andreas Gruhn, Leitender Regionalredakteur der Rheinischen Post in Kleve, hakte bei Kripo-Chef Thorsten Schröder nach, wie er auf die zunehmende Kriminalität in der Stadt schaut: Die Zahl der Straftaten sei von 2022 auf 2023 um 28,7 Prozent gestiegen, die Zahl der Verdächtigen um 33 Prozent. Der Polizei-Vertreter reagierte: „Die Steigerung nehmen wir auch wahr.“ Allerdings handele es sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem, mit dem viele Städte zu kämpfen hätten – nicht nur Kleve. In der Kreisstadt wurde 2023 nach mehreren Messerattacken über Waffenverbotszonen diskutiert, etwa für die Gasthausstraße. Schröder kann der Idee nicht viel abgewinnen, denn: „Wir sehen nicht den einen Hotspot. Da ist die Situation in der Düsseldorfer Altstadt oder an den Kölner Ringen eine ganz andere.“
Sicherheitsexperte Dirk Stein berichtete von der Leiharbeiterproblematik, die etwa in der Südstadt, in Kleve besser bekannt als „Stadt ohne Sheriff“, präsent sei. Es gebe Wohnungen, in denen 40 bis 60 Personen gemeldet seien: „Das ist ein Kommen und Gehen.“ In der Öffentlichkeit würden zudem Drogen und Alkohol konsumiert, immer wieder komme es zu Einbrüchen. Seißer bestätigte, dass es bei der Unterbringung von Leiharbeitern „unhaltbare Zustände“ gebe, denn: „Es findet Ausbeutung statt.“ Und Gebing verwies darauf, dass die Menschen, die zuvorderst aus Osteuropa kommen, auch das Problem der Obdachlosigkeit verschärften. Wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, etwa in niederländischen Schlachtbetrieben, landeten sie nicht selten auf der Straße. „Die Menschen stranden hier, das nimmt teils unerträgliche Ausmaße an“, sagte Gebing.
Zurück zum Bahnhof und der dortigen Drogenszene. Rita Fergen, Fachbereichsleiterin Soziale Hilfen bei der Caritas, bestätigte: „Es gibt immer mehr Menschen, die Hilfe suchen.“ Man sei als Caritas auch an der „Drückerbude“ unterwegs, zeige Wege aus der Abwärtsspirale der Sucht auf. Fergen berichtete, dass Cannabis ein immer größeres Thema sei, zudem seien synthetische Drogen präsent. In der Vergangenheit war über einen Drogenkonsumraum (etwa nach dem Vorbild Krefeld) für Kleve diskutiert worden, allerdings wären die Kosten immens hoch – und auch die Szene selbst hatte sich wenig angetan gezeigt, wie die Caritas-Vertreterin berichtete. Man müsse verstärkt auf Prävention setzen, sagte Fergen. Und: „Es ist am wichtigsten, dass die Menschen eine Wohnung haben. Erst ab da kann Hilfe beginnen.“ Allerdings meinte Fergen auch: „Die Stadt Kleve hat eine Drogenszene – damit müssen wir leben.“ Das sieht auch Schröder so, Drogen seien ein „Fluch der Zeit“, und das Geschäft floriert offenbar: „Es werden Rekordmengen Drogen sichergestellt, dennoch scheint der Markt gesättigt zu sein.“
Yvonne Tertilte-Rübo erklärte, dass die Stadt bereits viel für die Sicherheit tue. Und es sei wichtig, dass der Ordnungs- und Servicedienst gezielt in Angsträumen Präsenz zeige. Den Bahnhof müsse man aber noch stärker in den Blick nehmen, die Gleichstellungsbeauftragte plädierte für Videoüberwachung. „Frauen entscheiden sich bewusst dagegen, die Mobilitätsangebote zu nutzen, weil sie im Auto ein sichereres Gefühl haben“, sagte Tertilte-Rübo. Ein Schritt in die richtige Richtung könnte die Notrufsäule sein, die bald am Bahnhof installiert werden soll. Und auch städtebaulich gibt es Möglichkeiten, wie Schröder erklärte: „Man kann mit Licht und Lautstärke arbeiten: Täter stehen nicht gerne im Fokus.“ Stein warb dafür, solche Maßnahmen im Vorfeld der Landesgartenschau 2029 in Angriff zu nehmen.
Es gebe, so berichtete Christian Seißer, allerdings auch begünstigende Faktoren für die Sicherheit in der Stadt. Erzwingen kann man die kaum, kaufen schon gar nicht: Die Menschen seien mit viel Herzblut bei der Sache. „Es gibt einen großen Enthusiasmus, die schöne Heimat bewahren zu wollen“, sagte Seißer. Auch Gebing verwies darauf, dass es in der Stadt eine gute Vernetzung gebe. Und man könne auf Toleranz und Verständnis bauen. „Das mag mit der Grenzlage zu tun haben: Man kannte das Andere in Kleve immer schon“, sagte der Bürgermeister. Volksbank-Vertreter Seidel appellierte indes an Land und Bund: „Der Gesetzgeber ist gefordert, mehr zu tun.“